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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sich endlos gen Norden erstreckte. Das schwere
Boot lag hoch auf dem Schlitten, die Holzkufen glitten scharrend und zischend über Eis und Geröll. Magnus, der gerade seine Medizin erhalten hatte, saß mit den Händen auf dem Bauch lächelnd im Bug und summte leise vor sich hin.
    Bis zum Terror -Lager und zu John Irvings Grab in der Nähe des Victory Point waren es keine dreißig Meilen mehr – und weniger als die Hälfte bis zu Le Vescontes Grab an der Küste. Die Männer waren stark, und so legten sie täglich zwei oder drei Meilen zurück. Und sobald die Kost wieder reichhaltiger wurde, schafften sie wahrscheinlich sogar noch mehr.
    Zu diesem Zweck hatte Hickey eine leere Seite aus einer der vielen Bibeln gerissen, die Magnus beim Aufbruch aus dem Rettungslager unbedingt in die Pinasse hatte laden müssen, obwohl der schwachsinnige Riese nicht einmal lesen konnte. Jetzt zerteilte er das Blatt in elf gleich große Streifen.
    Hickey war selbstverständlich von der bevorstehenden Lotterie befreit, und Gleiches galt für Magnus und den verdammten Quacksalber. Heute Abend, wenn sie anhielten, um Tee und Eintopf zu kochen, mussten die anderen ihren Namen oder ihr Zeichen auf einen der Streifen setzen, damit alles für die Lotterie bereit war. Hickey würde Goodsir auffordern, die Streifen zu prüfen und öffentlich zu bestätigen, dass jeder Mann unterschrieben oder sein Kreuz gemacht hatte.
    Danach konnte der König die Streifen in der Jackentasche mischen und mit der feierlichen Zeremonie beginnen.

58
Goodsir
    SÜDWESTKAP VON KING-WILLIAM-LAND
5. OKTOBER 1848
     
     
     
    Aus dem persönlichen Tagebuch
von Dr. Harry D. S. Goodsir:
     
     
    Den 6., 7. oder 8. October 1848
    Ich habe den Schierlingsbecher getrunken. Schon in wenigen Minuten wird seine Wirkung einsetzen. Bis dahin will ich versuchen, Versäumtes nachzutragen.
    In den letzten Tagen mußte ich oft daran denken, wie sich der junge Hodgson mir anvertraute. Viele Wochen ist es jetzt schon wieder her, daß er sich flüsternd an mich wandte in jener Nacht, bevor er von Hickey erschossen wurde.
    »Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie störe, Dr. Goodsir«, so lauteten seine Worte, »aber ich muß jemandem mein Herz ausschütten.«
    »Sie sind doch kein Papist, Leutnant Hodgson«, wisperte ich zurück. »Und ich bin nicht Ihr Beichtiger. Schlafen Sie und lassen Sie mich ebenfalls schlafen.«
    »Verzeihung, wenn ich so aufdringlich bin, Dr. Goodsir. Aber ich muß einfach zu jemandem sprechen. Es thut mir unendlich leid, daß ich den Capitain verrathen habe, der mich stets gut behandelt hat, und daß ich
Ihre Gefangennahme durch Hickey geduldet habe. Diese Thaten bereue ich aus tiefstem Herzen, und ich vermag nicht zu sagen, wie sehr sie mein Gewissen belasten.«
    Ich lag nur still da, ohne den Jungen im geringsten zu ermuthigen.
    »Seit John den Tod gefunden …« Hodgson unterbrach sich. »Ich meine Leutnant Irving, meinen Freund aus der Geschützofficiersschule. Seit damals bin ich überzeugt, daß der Kalfaterersmaat Cornelius Hickey diesen ruchlosen Mord begangen hat.«
    »Weshalb haben Sie sich auf Mr. Hickeys Seite geschlagen, wenn Sie ihn doch für ein Scheusal halten mußten?«
    »Ich … hatte solche Angst vor ihm. Ich wollte zu den Seinen gehören, weil er so schrecklich war.« Damit brach Hodgson in Thränen aus.
    »Schämen Sie sich.« Ungeachtet meiner harten Worte legte ich dem Jungen tröstend den Arm um die Schultern und strich ihm über den Rücken, bis er sich in den Schlaf geweint hatte.
    Am nächsten Morgen rief Hickey alle Mann zusammen und hieß Magnus Manson den jungen Leutnant auf die Knie zu zwingen. Wild mit seinem Revolver fuchtelnd, that der Kalfaterersmaat kund, daß er keine Drückebergerey zu dulden gewillt sey. Die Guten unter uns, so gelobte er, sollten leben und zu essen haben. Die Bärenhäuter indeß mußten sterben.
    Dann setzte er die langläufige Waffe an George Hodgsons Schädel und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf, dergestalt daß das Gehirn auf das Geröll spritzte.
    Hierbei ist zu vermelden, daß der Junge sein Schicksal mit wackerem Muthe ertrug. Er zeigte an diesem Morgen keinerley Furcht mehr. Seine letzten Worte vor dem krachenden Schusse lauteten: »Fahr zur Hölle!«
    Hätte ich nur auch am Ende so tapfer seyn können wie er! Doch habe ich jetzt die Gewißheit, daß mir dieses verwehrt seyn wird.
    Nun hatte Mr. Hickeys Schauspiel aber nicht sein Bewenden mit dem Tode Leutnant Hodgsons und nicht einmal damit,

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