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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Golding sie gelockt hat. Die offene Wasserstelle ist nur acht Fuß lang und halb so breit. Auch die Eisberge ringsum sehen nicht richtig aus. Sie sind viel größer und zahlreicher als an dem Ort des Hinterhalts. Und die Pressrücken ragen höher auf.
    Crozier späht hinauf zum Himmel, um einen Blick auf die Sterne zu erhaschen. Wenn sich die Wolkendecke öffnen würde und wenn er den Sextanten und die Tabellen hätte, könnte er vielleicht seine Position berechnen.
    Wenn … könnte.

    Die einzige Sternengruppe, die er erkennt, sieht mehr nach einer Winterkonstellation aus als nach etwas, das sich Mitte oder Ende August am arktischen Himmel zeigen sollte. Er weiß noch, dass er am 17. August angeschossen wurde. Er hatte bereits seinen Eintrag ins Logbuch gemacht, als Golding ins Lager gerannt kam. Und er kann sich nicht vorstellen, dass seither mehr als ein paar Tage vergangen sind.
    Er lässt den Blick über den gezackten Horizont schweifen, um vielleicht irgendwo einen Hauch von Zwielicht zu erkennen, das darauf hindeuten könnte, dass die Sonne vor kurzem untergegangen ist oder gleich aufgehen wird. Doch es gibt nur Nacht, heulenden Wind, Wolken und einige zitternde Sterne.
    Mein Gott … wo ist die Sonne?
    Noch immer friert Crozier nicht, aber er schlottert so heftig, dass er sich an dem Stapel gefalteter Pelze festklammern muss, um nicht umzufallen.
    Lady Silence macht jetzt etwas sehr Sonderbares.
    Das Zelt ist zusammengelegt. Sie kniet sich auf eine der äußeren Planen, die aus Robbenfellen bestehen, und schneidet sie mit ihrem sichelförmigen Messer in der Mitte auseinander.
    Die zwei Teile des Robbenfells schleppt sie zur Polynja und taucht sie mit einem Stock ins Wasser, bis sie gründlich durchgeweicht sind. Dann holt sie dort, wo soeben noch das Zelt stand, gefrorene Fische aus der Vorratsnische im Eis und legt sie hintereinander aufgereiht auf beide Hälften der rasch gefrierenden Zeltplane.
    Crozier hat nicht die geringste Ahnung, was das Weib vorhat. Es ist, als würde sie hier unter den nächtlichen Sternen ein verrücktes heidnisches Ritual vorbereiten. Das Dumme ist nur, dass sie die Zeltplane aus Robbenfell zerschnitten hat. Selbst wenn sie die anderen Häute über die gebogenen Stäbe und Knochen spannt, wird dieses Zelt die Kälte und den Wind nicht mehr abhalten.

    Ohne ihn zu beachten, rollt Silence je eine Hälfte der Plane um die aufgereihten Fische. Dabei zerrt und zupft sie an dem nassen Robbenfell, um es ganz fest zu spannen. Crozier findet es lustig, dass sie bei beiden Rollen an einem Ende ein Stück Fisch herausschauen lässt. Als Nächstes konzentriert sie sich darauf, die Köpfe dieser Fische ein wenig nach oben zu biegen.
    Nach zwei Minuten kann sie die zwei sieben Fuß langen gefrorenen Fischrollen hochnehmen, die jetzt in ihrer Hülle aus Robbenfell so fest sind wie lange, schmale Eichenplanken, und mit dem erhobenen Fischkopf nach vorn nebeneinander aufs Eis legen.
    Daraufhin kniet sie sich auf ein kleines Fell, um mit Sehnen und Lederriemen kurze Stücke aus Rentiergeweihen und Elfenbein, die vorher das Zeltgerüst bildeten, zwischen die zwei Fischrollen zu binden.
    »Allmächtiger«, entfährt es Crozier. Die zwei in nasses Robbenfell gewickelten Fischreihen sind Kufen. Und die Geweihstücke sind Querstreben. »Das wird ja ein Schlitten.«
    Die Kristalle seines Atems schweben in der Nachtluft, und seine Verwunderung schlägt in Angst um. Am 17. August und in den Tagen davor war es nicht annähernd so kalt, auch nicht mitten in der Nacht.
    Silence braucht etwa eine halbe Stunde, um den Schlitten mit Fischkufen und Geweihstreben zu bauen, doch dann muss Crozier auf seinem Stapel Pelze noch mindestens weitere eineinhalb Stunden warten, während sie an den Schlittenkufen arbeitet. Wie viel Zeit genau vergeht, kann er nur schätzen, weil er seine Taschenuhr nicht mehr hat und im Sitzen immer wieder eindöst.
    Zuerst nimmt sie etwas aus einem Leinwandbeutel, der von der Terror stammt. Das Zeug, das aussieht wie eine Mischung aus Schlamm und Moos, formt sie mit Wasser aus der Polynja zu faustgroßen Klumpen, die sie gleichmäßig über die behelfsmäßigen Kufen verteilt und mit bloßen Händen festklopft.
Obwohl sie ihre Hände häufig zum Aufwärmen unter den Anorak steckt, kann sich Crozier nicht erklären, warum sie nicht schon längst zu Eis erstarrt sind.
    Wie ein Bildhauer, der sein Tonmodell zurechtschleift, glättet Silence den gefrorenen Schlamm mit ihrem Messer. Dann

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