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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Sir.«
    »Pilkington, bist du besonders müde?«
    »Ja, Sir«, erwiderte der dreißigjährige Seesoldat. »Ich meine, nein, Sir. Ich bin bereit für jede Aufgabe, die Sie mir stellen, Sir.«
    Gore lächelte. »Gut. Du übernimmst in den nächsten drei Stunden die Wache. Ich kann dir nur versprechen, dass du als Erster schlafen darfst, sobald der Schlittentrupp das Eislager erreicht hat. Nimm die zweite Büchse, die wir nicht als Zeltstange brauchen, aber bleib im Zelt. Du steckst nur ab und zu den Kopf raus, verstanden?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Dr. Goodsir?«
    Der Arzt hob den Kopf.
    »Können Sie und Morfin bitte Hartnell ins Zelt tragen und ihn gut zudecken? Wenn wir uns hinlegen, kommt Tommy ganz in die Mitte, damit er es möglichst warm hat.«
    Goodsir nickte und hob seinen Patienten an den Schultern an, ohne ihm den Schlafsack abzustreifen. Die Beule am Kopf des Bewusstlosen war inzwischen so groß wie die kleine, blasse Faust des Arztes.
    »Also schön.« Gores Zähne klapperten, als er das zerfetzte Zelt betrachtete. »Dann breiten wir anderen jetzt die Decken aus und drücken uns aneinander wie die Waisenkinder, damit wir wenigstens eine oder zwei Stunden schlafen können.«

13
Franklin
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
3. JUNI 1847
     
     
     
    S ir John wollte seinen Augen nicht trauen. Es waren acht Gestalten, wie er es erwartet hatte, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihnen.
    Über vier der fünf erschöpften, bärtigen Männer mit Schneebrillen, die sich in das Geschirr stemmten – die Matrosen Morfin, Ferrier und Best und vorne der hünenhafte Gefreite Pilkington  –, streifte sein Blick rasch hinweg. Aber der fünfte Mann in den Gurten war der Zweite Unterleutnant Des Voeux, in dessen Gesicht zu lesen war, dass er gerade einen Ausflug in die Hölle hinter sich hatte. Der Matrose Hartnell schlurfte neben dem Schlitten her. Der magere Seemann trug einen dicken Verband am Kopf, und er stolperte dahin, als wäre er Teil von Napoleons Rückzug aus Moskau. Auch der Arzt Goodsir war zu sehen, wie er am Schlitten herumhantierte oder jemanden dort versorgte. Franklin hielt nach Leutnant Gores rotem Wollschal Ausschau, der fast sechs Fuß lang und sehr auffallend war. Seltsamerweise schien es ihm so, als würden die meisten der dunklen, dahinwankenden Gestalten kürzere Teile davon tragen.
    Hinter dem Schlitten schließlich ging ein kleines, in einen Pelzanorak gehülltes Geschöpf, dessen Gesicht unter der Kapuze
fast nicht zu erkennen war, das jedoch nur ein Eskimo sein konnte.
    Doch es war der Anblick des Schlittens, der Sir John zu einem erschrockenen Aufschrei bewegte: »Herr im Himmel!«
    Der Schlitten war so schmal, dass keine zwei Männer nebeneinander auf ihm Platz hatten. Sir Johns Fernrohr hatte nicht getrogen: Dort lagen zwei Menschen aufeinander. Der obere war ebenfalls ein Eskimo – ein schlafender oder bewusstloser alter Mann mit braunem, furchigem Gesicht und wallendem weißen Haar über der Wolfsfellkapuze, die jemand zurückgeschlagen und ihm als Kissen unter den Kopf geschoben hatte. Um diese Gestalt kümmerte sich der Arzt, während sich der Schlitten der Erebus näherte. Unter dem Körper des Eskimos jedoch waren die Gestalt und das schwarz angelaufene Gesicht des offenbar toten Leutnant Graham Gore zu erkennen.
    Franklin, Commander Fitzjames, Leutnant Le Vesconte, der Erste Unterleutnant Robert Sargent, der Eislotse Reid, der Schiffsarzt Stanley, der Bootsmannsmaat Brown, der Großtoppmann John Sullivan, Sir Johns Steward Mr. Hoar und noch etwa vierzig andere Seeleute, die nach dem Ruf des Ausguckspostens an Deck gekommen waren, rannten jetzt hinaus aufs Eis.
    Plötzlich blieben alle wie angewurzelt stehen. Was durch Franklins Fernrohr wie rote Wollschals ausgesehen hatte, erwies sich nun als große Flecken an den Überziehern der Männer. Sie waren blutverschmiert.
    Dann ging auf einmal alles drunter und drüber. Einige der Männer im Geschirr umarmten Freunde, die auf sie zugeeilt waren. Thomas Hartnell brach zusammen, und um ihn herum bildete sich ein Pulk von Leuten, die ihm helfen wollten. Alle riefen in höchster Aufregung durcheinander.
    Sir John hatte nur Augen für Leutnant Gore. Die Leiche war mit einer Schlafdecke verhüllt, die ein wenig zur Seite gerutscht war. Gores fein geschnittenes Gesicht lugte hervor, das
an einigen Stellen wegen des Blutverlusts ganz weiß und an anderen Stellen von der arktischen Sonne schwarz verbrannt war. Seine Züge

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