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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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seinen Augen fängt. Das Knirschen und Krachen kam von Leutnant Gores brechenden Rippen und Armen. Das Wesen hat ihm den Brustkorb zermalmt.«
    »Hat Leutnant Gore geschrien?«, fragte Sir John in die atemlose Stille hinein, die diesen Worten folgte.
    »Nein, Sir. Er hat keinen Laut von sich gegeben.«
    Crozier neigte sich vor. »Haben Morfin und Pilkington geschossen?«
    »Nein, Sir.«
    »Warum nicht?«
    Ein merkwürdiges Lächeln erschien auf Bests Lippen. »Es gab nichts, worauf sie hätten schießen können, Sir John. In einem Augenblick war das Wesen da, hat Leutnant Gore umklammert und zerquetscht, wie man eine Ratte in der Hand zerquetschen würde, und im nächsten Augenblick war es wieder weg . «
    »Was soll das heißen, weg?«, ereiferte sich Sir John. »Hätten Morfin und der Seesoldat nicht auf das Tier schießen können, als es sich in den Nebel zurückgezogen hat?«
    »Zurückgezogen?« Bests verstörendes Lächeln wurde noch breiter. »Das Wesen hat sich doch nicht zurückgezogen. Es ist einfach wieder im Eis verschwunden wie ein Schatten, wenn sich eine Wolke vor die Sonne schiebt. Und als wir die paar Schritte bis zu Leutnant Gore gemacht hatten, war er schon tot. Sein Mund stand weit offen. Er hatte nicht mal mehr Zeit zum Schreien. Dann hat sich der Nebel aufgelöst. Nirgendwo im Eis waren Löcher. Oder Sprünge. Nicht mal eine kleine Atemöffnung, wie die Sattelrobben sie benutzen. Nur Leutnant Gores zerschlagener Körper – die Brust ganz eingedrückt, beide Arme gebrochen, und das Blut ist ihm überall rausgelaufen, aus den Ohren, den Augen und dem Mund. Dr. Goodsir hat uns gleich weggedrängt, aber er konnte auch nichts mehr für ihn tun. Gore war tot und wurde schon kalt, so kalt wie das Eis unter
ihm.« Bests irres und irritierendes Grinsen zerfranste. Die zerschundenen Lippen des Mannes zitterten, obwohl sie noch immer weit über die Zähne nach hinten gezogen waren. Der Blick in seinen Augen wurde vollkommen stumpf.
    »Hat …« Sir John verstummte, als Charles Best in sich zusammensackte.

14
Goodsir
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
4. JUNI 1847
     
     
     
    Aus dem persönlichen Tagebuch
von Dr. Harry D. S. Goodsir:
     
    Den 4. Junius 1847
    Kaum daß Stanley und ich den verwundeten Eskimo vollkommen entkleidet hatten, entsann ich mich wieder des Amuletts um seinen Hals. Selbiges war aus einem flachen, glatten Steine gebildet, welcher kleiner als meine Faust war und die Gestalt eines Weißen Bären hatte. Der Stein schien unbehauen und erfaßte in seinem natürlich polirten Zustande vollkommen den langen Hals, den kleinen Kopf und im Ganzen den machtvollen Vorwärtsdrang des lebendigen Thieres.
    Ich war des Amuletts bereits innegeworden, als ich die Wunde des Mannes draußen auf dem Eise besah, hatte ihm jedoch weiter keine Beachtung geschenkt.
    Die Kugel aus der Büchse des Gefreiten Pilkington war keinen Zollbreit unter jenem Amulette in die Brust des Eingeborenen eingefahren und saß jetzt, nachdem sie das Muskelfleisch zwischen der dritten und vierten Rippe, von der oberen um ein weniges abgelenkt, durchschlagen und sodann auch den linken Lungenflügel penetrirt hatte, tief in der Wirbelsäule, woselbst sie etliche Nerven durchtrennt hatte.

    Es gab keine Möglichkeit, sein Leben zu erhalten. Bereits nach der ersten Untersuchung wußte ich, daß ein jeder Versuch, die Büchsenkugel zu entfernen, den sofortigen Tod des Mannes zur Folge haben mußte. Ebensowenig konnte es gelingen, den inneren Blutfluß aus der Lunge zu stillen. Dennoch ließ ich den Eskimo in jenen Theil des Lazaretts schaffen, welchen mein College Stanley und ich für chirurgische Operationen eingerichtet haben, um alles in meinen bescheidenen Kräften Stehende für ihn zu thun. Nach der Rückkehr zum Schiffe sondirten Stanley und ich am gestrigen Tage eine halbe Stunde lang vermittels unserer schärfsten Geräthschaften die Wundöffnung und schnitten voller Eifer sowohl von vorne als auch von hinten, bis wir die genaue Position der Kugel in seiner Wirbelsäule festgestellt hatten und unsere Diagnosis einer lethalen Verletzung in summa bestätigt fanden.
    Freilich traf der weißhaarige Wilde, welcher von ungewöhnlich großer, kräftiger Statur war, vorerst noch keine Anstalten, sich in unsere Diagnosis zu schicken. Er wollte nicht aufhören, als Mensch zu existiren. Er wollte nicht aufhören, den Athem durch seine zerrissene Lunge zu drücken, und spuckte zu wiederholten Malen Blut. Er

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