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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gibt.«
    »Nein, Sir. Natürlich nicht.«

    »Das wäre alles, Mr. Goodsir«, bemerkte Sir John. »Falls sich noch Fragen ergeben, werden wir wieder nach Ihnen rufen.«
    »Ach, Dr. Goodsir«, rief mir Commander Fitzjames nach, noch bevor ich Sir Johns Kajüte verlassen hatte. »Ich würde gerne eine Frage stellen, auch wenn es mich, offen gestanden, sehr beschämt, die Antwort nicht zu kennen. Weshalb heißt der Weiße Bär Ursus maritimus? Doch gewiß nicht, weil er so gerne Matrosen frißt.«
    »Nein, Sir«, erwiderte ich. »Ich glaube, der Polarbär wurde mit diesem Namen bezeichnet, weil er eher ein Meeressäuger ist als ein Landthier. Ich habe Berichte darüber gelesen, daß der Weiße Bär Hunderte von Meilen draußen auf See gesichtet wurde. Capitain Martin von der Enterprise hat mir versichert, daß der Bär sowohl zu Lande wie auch auf dem Eise ein gefährlicher Angreifer ist, der einen Menschen an Schnelligkeit bei weitem übertrifft, daß er jedoch auf dem Meere seine größten Stärken besitzt. Er gehört zu den mächtigsten Schwimmern im Oceane und kann Strecken von sechzig oder siebzig Meilen ohne Rast zurücklegen. Capitain Dannert hat mir von einem Fall erzählt, da sein Schiff weit außer Sichtweite des Landes bei frischem Winde acht Knoten Fahrt machte. Zwey Weiße Bären hielten zehn Seemeilen lang die Geschwindigkeit des Schiffes mit, ehe sie mit der Leichtigkeit eines Weißwals davonschwammen und in Richtung ferner Eisschollen entschwanden. Daher die Fachbezeichnung Ursus maritimus. Ein Säugethier gewiß, aber doch vornehmlich ein Geschöpf der See.«
    »Vielen Dank, Mr. Goodsir«, sagte Sir John.
    »Nichts zu danken, Sir.« Mit diesen Worten verließ ich die Kajüte.
     
     
    Den 4. Junius 1847, Fortsetzung
    Der Eskimo starb nur wenige Minuten nach Mitternacht. Aber vorher hatte er noch einmal gesprochen.
    Ich schlief gerade mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und Stanley mußte mich wecken.
    Der auf dem Operationstische liegende weißhaarige Mann bewegte sich
unruhig und zuckte krampfhaft mit den Armen, als wollte er aus den Tiefen eines Sees nach oben an die Luft schwimmen. Aufgrund der Hämorrhagie seiner durchbohrten Lunge floß ihm das Blut über das Kinn und auf den Brustverband.
    Als ich den Strahl der Lampe über ihn hielt, erhob sich die junge Eskimofrau aus der Ecke, in welcher sie geschlummert hatte. Zu dritt beugten wir uns über den Todgeweihten.
    Der alte Eskimo krümmte den Zeigefinger und pochte sich nahe dem Einschußloche auf die Brust. Mit jedem Röcheln wurde noch mehr hellrothes Schlagaderblut herausgepreßt, doch was anfänglich nur ein Husten zu seyn schien, entpuppte sich als Worte. Mit einem Stück Kreide notirte ich selbige, so gut es angehen mochte, auf der Tafel, mit welcher Stanley und ich uns verständigten, wenn unsere Patienten in der Nähe schliefen.
    »Angakkuk tuqurtaujuq! Qaqruujuq … angakkuk tuqurtaujuq … paniga … tuunbaq! Tanik … naluabmiu tuqurtauniaqtuq … umiaqpak tuqurtauniaqtuq … nanuq tuqurtaa! paniga … tuunbaq … nanuq … angakkuk ququrtuq!«
    Endlich wurde die Hämorrhagie so heftig, daß er keines Wortes mehr mächtig war. Das Blut sprudelte aus ihm heraus wie aus einem Springbrunnen und drohte ihn zu ersticken. Obgleich Stanley und ich ihn ein wenig aufrichteten, damit er Luft schöpfen konnte, athmete er nur noch Blut ein. Nach einem schrecklichen letzten Ächzen hörte seine Brust auf, sich zu heben. Er sank uns in die Arme, und sein Blick wurde leer und glasig. Langsam ließen wir ihn auf den Tisch zurückgleiten.
    »Vorsicht!« rief Stanley.
    Im ersten Augenblicke begriff ich die Warnung meines Collegen nicht recht. Der Alte lag reglos, und ich vermochte weder Athem noch Puls zu finden. Dann wandte ich mich um und erblickte die Eskimofrau. Ref 1
    Sie hatte eins der blutigen Scalpelle von unserem Arbeitstische genommen und trat nun mit erhobener Waffe heran. Doch mir wurde sogleich offenbar, daß sie mir keine Beachtung schenkte – ihr starrer Blick ruhte auf dem todten Antlitz und der Brust des Mannes, welcher im Leben vielleicht ihr Gemahl, ihr Vater oder ihr Bruder gewesen seyn mochte. In diesen wenigen
Momenten schoß mir, da ich der Sitten ihres heidnischen Stammes nicht kundig war, eine Myriade wilder Bilder durch den Sinn: Womöglich hegte sie die Absicht, dem Manne das Herz herauszuschneiden und es gar in einem schaurigen Rituale zu verschlingen; vielleicht wollte sie ihm die Augen ausschaben oder einen Finger

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