Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
blickte mich hypnotisch an.
»Die Frau, die ich wirklich liebte, nicht nur verehrte, weil sie meine Eitelkeit verletzte, und die mich - wie weiland Ozias Midwinter - beinahe um den Verstand gebracht, ja, sogar fast in den Selbstmord getrieben hat, ist Nona Trevor! «
Ich verschluckte mich beinahe an dem Mocca.
»Der Bruder von Miss Trevor, Victor, war ein Freund von mir. Er hatte sich mit Okkultismus und Nekromantie befasst, etwas, worüber die ich vor fast sechs Stunden noch gelächelt hätte. Bei ihm lernte ich Nona kennen und lieben, und auch mir nannte sie nie ihren Vornamen. Und - nun verschlucken Sie sich nicht wieder - auch ich nannte sie Nona!
Sie gab vor, mich zu lieben, doch ihre Liebe war so kalt wie ihr Körper. Wichtige Geschäfte zwangen mich für ein paar Wochen nach London zu reisen, und bald danach berichtete mir ihr Bruder von Nonas plötzlichem Ableben. Ich glaubte, wahnsinnig zu werden vor Gram. Seitdem nehme ich Kokain und verfalle zeitweise in völlige Melancholie.
Aber, nachdem was in den letzten Stunden geschehen ist, vermute ich, dass Miss Trevor schon tot war, als ich sie kennen gelernt habe«.
Ich sah Holmes an, als habe er den Verstand verloren.
»Ich weiss, was Sie nun denken, mein lieber Doktor. Und vielleicht gibt es alsbald eine vernünftige Erklärung dafür. Aber ich habe meine Zweifel ...«
»Holmes, seit Jahren bin ich an Ihrer Seite und kenne als Ihr Chronist fast jeden Ihrer Schritte. Aber von einer Miss Trevor habe ich noch nie etwas gehört. Oder war es in der Zeit, als ich geheiratet habe? «
Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, mein Lieber. Das war auch der Grund, weshalb ich Sie vorhin mitgenommen habe. Sie sollten mir als Arzt sagen, ob das Mädchen noch lebt, und vor allem, wie alt Sie sie schätzen«.
»Ich sagte es bereits; sie war keine zwanzig«.
»Exakt. Denn als sie achtzehn war, habe ich sie kennen gelernt. Genauer gesagt im Jahre des Unheils 1870«.
»Gütiger Himmel! Holmes, das war vor über dreißig Jahren ...«
Ende
Anmerkung:
In dem sehr lesenswerten Büchlein von Zeus Weinstein: Companion 1, schreibt der Verfasser sinngemäß, dass Sherlock Holmes um 1854 einen Freund namens Victor Trevor aus Norfolk hatte. Mit dessen Schwester, die nicht mit Vornamen genannt wird, war der Detektiv zeitweilig zusammen. Da Holmes sonst in Details sehr akribisch ist, geht Weinstein von der Vermutung aus, dass Holmes mit Absicht den Vornamen weggelassen hat, da es vielleicht die Frau seines Herzen war.
Diese kurze Vermutung, in wenigen Sätzen dargestellt, gab mir die Idee zu dieser Geschichte, die vor langer Zeit in einem Band der Deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft veröffentlicht worden ist.
Ende
Styx
Ich solle Kreuzworträtsel lösen und im Park spazieren gehen, riet mir der Hausarzt. Und warum ich nicht früher für Freunde und Hobbes gesorgt hätte? Dabei sah er mich strafend an, und dafür wird er auch noch von der Krankenkasse bezahlt. Aber Recht hat er! Nun hänge ich in meiner Bruchbude herum, und der Staub sammelt sich auf allen Teilen. Aber für wen putzen? Seit zehn Jahren trage ich bereits die Uniform der alten Leute: braune Hose, braune Jacke, beige Socken und eine braune Kappe auf dem Kopf. Da kommt der Rollator ja wie von selbst angefahren! So habe ich begonnen, kleine Gedichte zu schreiben. Zum Beispiel diesen lauen Anfang:
»Der alte Mann sieht mich an, und irgendwann ist er dran. « Ob ich für dieses Gedicht wohl einen Literaturpreis bekomme? Ich glaube nicht. Es ist zu kurz, aber vielleicht als Refrain für ein Lied gar nicht mal schlecht. Hmm, tata, hmm, ta,tata ... »Der alte Mann sieht mich an, und irgendwann ... « Ein Chanson, gesungen von Ben Becker zum Beispiel. Kurz, abgehackt müsste er es singen. Irgendwann ist er dran!« Dann ein paar harte Gitarrenriffs, die jeden einzelnen Buchstaben wie mit einem Beil zerhacken. So wie ich den alten Mann tatsächlich zerhacken könnte, ihn, der mich seit Stunden nur durch seine Anwesenheit quält, alleine schon, wie er geht, so wie ein kranker, angeschossener Vogel. Andererseits bin ich ihm sogar zu Dank verpflichtete; denn Qual bedeutet wenigstens ein Gefühl. Vorher hatte ich gar keines. In der Zeit, bevor ich seiner ansichtig wurde. Seiner ansichtig! Das sind die Worte eines alten Mannes, der ich nun mal bin, eines Mannes, der
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