Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Scarlett legte ihre schmale Hand, die so vieles kann, auf mein Herz. „Sind da nur goldene Kreditkarten drin?“ fügte sie schnell hinzu.
Ich tat so, als verstehe ich, murmelte etwas und legte meine Hände über ihre knabenhaften Brüste. „Hey“, sagte ich. „Das hört sich für eine Lady deiner Branche recht spießig an.“
Sie wurde sehr ernst, öffnete müde ihre braunen Augen und seufzte: „Spießig bist du. Und was heißt hier Branche? Du legst mit Sicherheit mehr Kunden aufs Kreuz als ich! Und die merken das noch nicht mal, im Gegensatz zu meinen Freiern. Wer gibt dir überhaupt das Recht, über Menschen zu urteilen, vor allem, wenn du meine Dienste sehr gerne in Anspruch nimmst! Bist du Gott? Ich gebe wenigstens Zärtlichkeit und etwas Liebe, zumindest für einige Zeit. Und was hast du zu bieten? Du bist spießig, oder verlogen. Du versprichst mit lächelndem Gesicht etwas, was du eh nie hältst, erhebst dich über Menschen, um ihnen dann das Genick zu brechen. Du – und dein feiner Louis – ihr beutet doch nur aus, oder, ... was auch immer ...“ Beinahe hätte sie geweint. Ich gab erschöpft vor, zu müde für eine Antwort zu sein und verabschiedete Scarlett mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange.
Doch das war gestern in der Nacht, ich konnte wegen der kleinen Auseinandersetzung kaum schlafen und wollte mich am nächsten Tag »rächen«, was immer das auch sein mochte.
Mein Motiv war das der erfolgreichen Langeweile, als ich vor dem Laden gebrauchtmöbel haltmachte. Oder das des zynischen Nadelstreifens zu zweitausend Euro mit dem Hintergedanken, dass ich mich nach einem Besuch an diesem Ort noch besser fühlen werde.
Ich wollte Armut »pur« sehen, sie mit meiner Hightech und Kreditwürdigkeit »no limits« vergleichen. no limits.
Was für ein Ausdruck. »no limits« zu heißen, das wäre geil.
Ein Motorradfahrer raste plötzlich wie aus dem Nichts an mir vorbei. Ich unterdrückte einen leisen Schrei. Er brauste wieder zurück, dann nach vorn, um gleich wieder umzukehren. Ich dachte erschrocken an meine Brieftasche, für die ich allein schon achthundert Euro hinblätterte; vom Inhalt ganz zu schweigen. Seit langem hatte ich ein Gefühl, das man wohl Angst nennt.
Der Mann in seinem schmutzigen Lederanzug grinste mich an, als er drei Meter vor mir haltmachte. Sein Gesicht war stoppelig, und das, was er in der Hand hielt, machte mich noch unruhiger, als es ein Revolver getan hätte: Der Bursche öffnete seinen schwammigen Mund, seine Zunge schnellte heraus – und – er lutschte ein Eis. Eine schmutzige Staubwolke, von quietschenden Rädern erzeugt, ließ sich wie Pech auf den Burschen nieder. Es war ungefähr 35 Grad im Schatten, die nächste Eisdiele einige Lichtjahre entfernt, aber er grinste und nuckelte an seinem Hörnchen. Ich rührte mich nicht, so, als würde ein tollwütiger Hund vor mir stehen, der nur darauf wartete, mir an die Kehle zu springen, um mir meinen Sommeranzug von Boss mit meinem eigenen Blut zu besudeln.
Der Motorradfreak hatte zu Ende gelutscht, griff nach seinem Gepäckständer, holte den Helm hervor, auf dem ein nackter Geier abgebildet war.
Man hatte dem Vogel anscheinend die Kehle durchgeschnitten. Der Mann grinste, zog vor mir seinen Helm, verbeugte sich dabei und fuhr lachend davon. Die Staubwolke hatte ihn bald verschlungen, und Reste davon landeten auf meinem Sommeranzug.
Dann lachte ich ebenfalls, sehr gequält und sehr heiser und bewegte mich in Richtung Möbelladen, ein jämmerliches Gebilde – wahrscheinlich in Handarbeit errichtet. Keine Wand war gerade, und auf dem Dach stand ein Schornstein, der einem vollgedröhnten Junkie ähnelte. Ich stolperte über einen alten Karren, der wohl Möbel ziehen sollte. Der Schuppen war einfach grauenvoll. Eine Platitude, die mir Deutschlehrer Hermann aus der Untertertia ankreiden würde. Schäbig, verlaust und grauenvoll darf einer sagen, der gerade für dreihundert Euro zu Abend gegessen hatte.
Ich trat ein und stellte fest, dass es drinnen mindestens 10 Grad heißer als draußen war. Natürlich – das Wellblechdach! Idiot! sagte ich zu mir. Etwas Blödsinnigeres hätte dir nicht einfallen können! Ich dachte an ein paar kühle Drinks in einer Nobelbar und verfluchte meinen unsinnigen Entschluss, Armut-pur zu erleben. Dafür hatte ich Hitze – (und vorhin noch Angst) – pur.
»Bitte nicht rauchen« hing abgewetzt an der löchrigen Wand, genau neben einer vollbusigen Zigeunerin mit einer Rose im lüsternen
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