Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
ich wieder nach draußen, und frage mich, wie lange ich noch Dienst tun muss. Na. Egal. Ich - nein, die alte Frau natürlich, die Schaffnerin, stellt sich ans Geländer und singt mit der hohen Stimmer einer jungen Frau: »I`ve got you under my skin. I`ve got you deep in the heart of mine ...« Ich muss weg, bevor ich vollends den Verstand verliere. Lasse die Alte trällern. Ich muss ins Malpaso, irgendwer wird schon kommen. Doch - ich kann nicht laufen. Blicke an mir herab und - ich sehe keine Beine, und ich sehe keine Füße. Dafür sehe ich die Brücken von allen Seiten gleichzeitig. So versuche ich, meine Arme zu bewegen, und ein paar Ziegel in der Stadt fallen knirschend auf das Pflaster. Die Zigarette schmeckt mir dafür recht gut, aber morgen muss ich meine rote Zirkusjacke in die Reinigung bringen. Meine alten Finger umklammern wieder die Gitarre, und ich singe gegen die braunen, unendlichen Fluten an: Don`t you know, little fool, you never can win. Cause I`ve got you under my skin. Dann ist mir kalt, denn die Sonne war heute nicht ganz durch die Wolken gedrungen. Meine Wellen schwappen monoton um die Brückenpfeiler. Ich bin alles, und alles ist ich! Dabei stelle ich fest, dass ich mal wieder einen neuen Anstrich gebrauchen könnte. Tumor ist, wenn man trotzdem lacht. Vor allem frage ich mich allen Ernstes, was ich mit drei Uhrzeigern soll. Ich zeige auf die Zwölf, auf die Neun und die Sechs. Da höre ich einen unmenschlichen Schrei von der Brücke her. Der Schrei ist so laut, dass ein paar Fensterscheiben zerspringen. Aber morgen werde ich den Glaser anrufen, und ich werde mich erneuern. Nur nicht heute. Denn heute habe ich ja frei. Die totale Paranoia ist die totale Erkenntnis!
Ihre sehr ergebene LightFire!
Ende
Ich will das Blut aus deinem Mund rinnen sehen...
... sagte Tabitha, und Igor sagte, ja, aber dann kann ich nichts mehr erzählen, und sie sagte, okay, dann werd' ich dich erst danach richtig schlagen, und er zuckte zusammen, und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn, der sich bereits wie Melonensaft mit dem Blut aus seinem Mundwinkel vermischt hatte. Du bist wie eine Domina! hechelte Igor mit zuckenden Augen, die wie aufgeregte Schmetterlinge aussahen, und sah dabei auf ihre rechte Hand, die wieder seine Wange traf, und sie kreischte vor Lust und sagte, eine Domina bin ich verdammt nicht, ich bin deine...
... Ja, ja, ich weiß, was du bist, Tabitha, da traf ihn ein weiterer Schlag, klatsch! so konnte er nur noch blubbern und Eigenblut trinken, und sie sagte, Hey!, nun erzähl' schon deine verflixte Story, damit ich`s hinter mir habe.
Hör zu, meine Qualenbereiterin: Ich traf Kathy zum ersten Mal am Strand im Seebad von L., es war Mitte Oktober, also vor zwei Wochen ungefähr, und der Strand war so gut wie leer, wenn man von einigen kränklichen Möwen absah, und Kathy hatte trotz der Kühle nur ein enges, weißes Kleid an, ganz kurz, und ihre sehnigen Schenkel sahen aus wie verwehte Wüstenbahnen. Auf dem Kleid waren freche rote Tupfen, aber ihre Augen waren noch ein Lot frecher, diese jungen Augen, die nichts und alles wussten und von blonden Haarsträhnen eingerahmt waren, die der Seewind auseinandertrieb, und sie lächelte herausfordernd wie ein Puma, der gleich zubeißen will, oder wie eine neugeborene Elfe, die besser fickt als eine Professionelle.
Und sie sagte, hey, du bist auch einsam, was?, noch einsamer, als der alte Mond da oben, der gleich saugend und leckend aufgehen wird, und ich bin auch einsam, und heiße Kathy, und wir können uns kostbare Urlaubszeit ersparen, in der wir nur eine Woche dumm rumreden, und am letzten Tag ins Bett steigen, so lass uns besser eine Woche ins Bett steigen und am letzten Tag reden, aber erst, wenn wir beide wund sind. Ich war tatsächlich einsam, und die kühle Weite der See ließ mich erschauern, doch ich bin noch jung, sagte ich mir, jung, durchtrainiert, gutaussehend, und wer sagt eigentlich, dass Männerphantasien nicht wahr werden - welche Phantasien sollen wir denn um Gottes willen sonst haben? - und ich starrte irre auf ihren rot-weißen Tupfenkörper und meine Depression ging mit der Sonne unter, mein Schwanz aber ging auf wie lange nicht mehr.
So schlug ich vor, zum Inselfriedhof zu gehen, denn am Strand treiben es ja alle, und Kathy wischte sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, so wie der Vorhang auf einer Strip-Bühne aufgeht, und sie sagte begeistert, ja, das ist 'ne geile Idee, der
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