Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
Vom Netzwerk:
habe meine Frage mal wieder nicht richtig verstanden und verzichtete auf eine Wiederholung. Jahre später hatte ich diesen Vers immer noch im Kopf, obwohl ich auf der Uni das Sagen hatte, wie überall, wusste aber gleichzeitig, dass ich mit solchen Sprüchen dort schlechte Karten hatte. So grölte ich lieber das, was ich von anderen hörte.
    Nur ab und an flüsterte ich Funzels Lebensmotto irgendeinem Mädchen ins feuchte Ohr, mit dem ich mich auf der Matratze vergnügt hatte. Ich dachte, nach Intimitäten könne ich mir so was erlauben. Sie lachten mich alle aus, so wie sie damals Funzel ausgelacht hatten. So schrill, laut und keifend, wie es nur Frauen können.
    So versuchte ich mich – völlig betrunken – meinen Kumpels zu offenbaren. Doch sie schienen auf einmal alle Willi – aus der Untertertia – zu heißen. Ich beschloss, weder mit ihnen noch gegen sie zu arbeiten. Ich arbeitete nur noch für mich, und mein Mercedes 300 gibt mir recht.
    „Hey! Seht mal, was Funzel da hat!“ schrie der gute Willi in der Pause zwischen Mathe und Geo. Willi erwischte ihn, als Funzel zum x-ten Male auf seinen Zettel stierte, nachdem ihm Hermann wieder mal eine gescheuert hatte. „Ja, gib her“, grölten die anderen, und der Zettel flog durch die Luft, um dann von Hand zu Hand zu gehen; Funzel hinterher, heulend, schreiend, als habe man ein Pornoheft erwischt und wolle es Hermann zeigen.
    „Ein Sternlein guter Art ...“, zitierte Willi laut. „Hat das Sternlein dicke Titten?“
    Sandra wieherte durch den ganzen Schulhof, als sei sie gerade entjungfert worden. Funzel wurde aggressiv, er sah tatsächlich wie ein Irrer aus. Er trat Willi zwischen die Beine, und Willi schrie wie zwei Irre. Es wurde auf einmal sehr still. Nur Funzel heulte. Willi zeigte mit zitterndem Finger auf ihn, Speichel floss aus seinem Maul. „Tretet den Bekloppten zusammen!“ befahl er. Funzel war gerade dabei, den Zettel wie einen Fünfzig-Euroschein aufzusammeln, als alle über ihm waren.
    Gut, die wenigsten traten, außer Willi, dem dabei die Augen aus dem Kopf fielen, der dabei schrie: „Ich trete das Sternlein tooot! Das schwule Sternlein!“ Die meisten begnügten sich mit Fausthieben und Püffen, vor allem aus Schiss vor Lehrkörper Hermann.
    „Und du?!“ fragte mich Willi, und alle starrten mich an. Sein Gesicht sah wie ein alter Teig aus, in dem zwei aufgedunsene Rosinen stecken und die ständig in Bewegung sind. „Bist du auch schwul und ein Sternlein?“
    Sie packten mich, während Funzel auf dem Boden herumkroch, die alte Hose völlig zerrissen. Ich glaubte, 600 Augen sähen mich an und traten zu. Nicht fest, nur so. »Symbolisch« würde man sagen, und es genügte ihnen. Der Masse genügen immer symbolische Handlungen. Funzel bekam es gottlob nicht mit.
    In der folgenden Woche war ich zum ersten Mal krank, weil ich mir den Fuß verstaucht hatte. Er war tatsächlich dick angeschwollen, obwohl ich Funzel nur ganz leicht, so wie ein Blatt, das traurig von einem Baum gefallen war, berührt hatte.
     
    Ich blickte noch immer die dralle Zigeunerin an, als ich von nebenan eine weibliche Stimme hörte: „Hallo, Liebling. Alles in Ordnung? Ich hab dir ’ne Pizza mitgebracht.“ Es folgte ein Kuss. Ich war wohl zu sehr mit alten Erinnerungen beschäftigt, denn ein junges Paar musste in Funzels Laden gekommen sein. Langsam umkreiste ich schäbige Stühle. Kein Paar. Eine Frau stand vor ihm und nahm ihn in den Arm. Funzel küsste sie auf die Stirn.
    „Was, wieder Funghi“, sagte er. „Macht aber nix. Eß ich auch gern.“
    „Wenn du willst, kann ich dir eine andere holen. Dann esse ich sie.“
    Funzel mampfte schon. Die Frau war eine gute Frau.
    Hermann würde sagen: „Oh, welch selten anspruchsvolle Beschreibung! Ich neige mein Haupt vor deiner stilistischen Leistung auf intellektuell höchstem Niveau!“ Dann würde er eine zynische Verbeugung in meine Richtung machen. Aber seine Knochen, sofern sie überhaupt noch existieren, sind jetzt so stinkig wie seine Bemerkungen.
    Eine gute Frau mit einem guten Gesicht. In einfacher Kleidung mit einem einfachen Mann, der einfach glücklich zu sein schien. Wie ging noch mal sein Gedicht? Irgendwie hat Donald Sutherland recht,
    wenn er in Enthüllung zu Michael Douglas sagt: „Wir haben zwar jede Menge Informationen, aber wir haben keine Wahrheit.“
     
    Ich musste nach Hause, ich musste raus aus diesem Laden. So ergriff ich eine alte Vase und fragte: „Was kostet die?“
    „Die, äh – –

Weitere Kostenlose Bücher