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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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auf der unkrautüberwucherten Stufe einer Lagerhalle, an deren Fenstern verschlissene Vorhänge hingen. Ein Playboy-Bunny klebte an der morschen Tür, und auf den Stufen wucherte Löwenzahn „Wer bist du?“ fragte er krächzend, als habe er Zitronensaft getrunken. Er hatte das Kind noch nie gesehen, aber es kannte seinen Namen. Lang, schlaksig und ein frecher  Blick.
     „Kannst du schlecht hören? Ich bin Terry und habe auf dich gewartet. Ich will dir zeigen, wie man Liebe macht, und ich will dir zeigen, wie man Menschen tötet.“ Dann steckte sie sich einen Schoko-Riegel in den Mund und hüpfte auf einem Bein über unsichtbare Kästchen auf dem Boden. Terry wirkte eher unscheinbar. Sie hatte eine knabenhafte Gestalt, flachsblondes, strähniges Haar. Ein schmales, fast leeres Gesicht mit dünnen Lippen, dazu noch ein Silberblick. Die billigen  Jeans wurden von einem dicken Ledergürtel festgehalten, dessen Schließe aus einem Medusenhaupt bestand. Darüber hing ein nicht ganz sauberes, dunkelblaues T-Shirt mit dem verschämten Betty- Boop-Motiv, das nicht mal ansatzweise weibliche Formen erkennen ließ.
    Das einzig Interessante an ihr war die Stimme: zart und warm, wie die Stimme einer jungen Frau.
    „Findest du mich hübsch?“ fragte sie und drehte sich dabei linkisch herum.
    „Nun ja, ganz nett“, antwortete er nichtssagend. Lars fühlte sich unwohl. Zuviel Zerfall in dieser Natur; dann dieses einsame Mädchen, die verrückten Worte, die sie lässig von sich gab. Vielleicht ist sie ein wenig übergeschnappt, dachte Lars.
    „Ich finde dich auf jeden Fall langweilig“, sagte Terry schmollend. „Du bist bestimmt Banker oder Rechtsanwalt.“
    „So etwas in dieser Richtung. Aber wenn du schon meinen Namen kennst, müsstest du auch wissen, was ich treibe.“
    „Ich weiß nicht alles. Aber Typen wie du müssen immer alles wissen, sonst sind sie unsicher, was?“ Sie schien beleidigt, ihre Lippen waren vom Schoko-Riegel ganz verschmiert. „Typen wie du denken immer von A nach B. Aber ich kann von B nach A denken!“ Wild fuchtelte sie während des Referates mit den Armen herum.
    „Ich weiß verdammt nicht, wovon du sprichst“, antwortete Lars müde.
    „Ich will’s dir erklären!“ Terry blickte ihn ernst an, als habe sie ein Kind vor sich. „Warum bist du hier?“ Sie stach mit ihrem Zeigefinger in seinen Bauch.
    „Warum, warum. Weil ich viel gearbeitet habe, darum. Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin hierher gefahren.“ Lars blickte nervös auf die Uhr; er musste bald wieder zurück ins Büro, zurück in die Realität. Claudia wartete bestimmt schon mit dem Kaffee auf ihn, er hatte noch fünf Briefe zu  diktieren.  Sie sagte: „Das habe ich mir beinahe schon gedacht! Du denkst kausal, von A nach B. Aber ich denke immer final, von B nach A. Zum Beispiel, wenn du jemanden vom Flugzeug abholen willst, der noch gar nicht angekommen ist. Etwas also noch gar nicht stattgefunden hat. Dann reagierst du final, von B nach A. Es ist eigentlich nur ein kleiner Unterschied, eine andere Betrachtungsweise desselben Ereignisses. Aber sehr wichtig, zumindest für mich. Und vielleicht bist du hier, weil ich auf dich gewartet habe, und nicht, weil du vorhattest, spazieren zugehen.“ Lars hatte vor Verwunderung den Mund halb offen. Vielleicht war sie eine frühreife Philosophin, die gleichzeitig irgendwie zurückgeblieben war? Etwas hielt ihn hier fest; ein kindliches Geheimnis, eine verrückte Begegnung?
    „Ich weiß aber noch mehr über dich!“ rief Terry triumphierend. „Du bist 34 Jahre alt, ein Yuppie und langweilig!“ Sie klatschte in die Hände und drehte sich im Kreis herum. Ihre Worte hatten Lars ziemlich aus der Fassung gebracht.
    „Du wirst schon noch rechtzeitig in dein blödes Büro kommen“, sagte sie. „Aber vorher nimmst du mich Huckepack!“ Terry stellte sich auf die oberste Treppenstufe und wies ihn an, in die Knie zu gehen. „Siehst du, jetzt kniest du schon vor mir!“ lachte sie stolz und schwang sich auf seine  Schultern. Er spazierte mit ihr in Richtung Abwasserrohr, dabei schwitzte er noch mehr. Beim Gehen fiel ihm auf, dass der Weg mit Tausenden von Vogelfedern bedeckt war, als läge ein zarter Vorhang aus Gaze darüber.
    „Woher weißt  du eigentlich soviel über mich?“
    „Ooch, das werde ich dir irgendwann einmal erzählen“, sagte sie ausweichend. „Wir haben ja noch sooo viel Zeit.“
    „Hey!“ rief Lars, als sie an dem offenen Kanalrohr in der schmutzigen Brühe

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