Tesarenland (German Edition)
irgendwann vor ein paar Jahren in die Kolonie gebracht, heißt es. Kaum jemand weiß wirklich etwas über ihn, weil er meistens für sich bleibt. Die meiste Zeit ist Luca schweigsam, starrt vor sich hin, als wäre er in Gedanken versunken. Kann sein, dass er es gar nicht vorzieht, für sich zu sein. Vielleicht zieht er es einfach vor, nichts zu sagen. Auch hier redet er nicht viel, aber er gliedert sich mehr ein, steht nicht mehr Abseits und beobachtet das Geschehen aus der Ferne.
Ich habe Sven nicht finden können. Keins der Kinder, die in die Funktionshütte geschickt worden sind, ist da. Wenn sie zum Arbeiten dorthin geschickt worden sind, dann hätten sie doch heute auch freigehabt?
»In unserer Hütte fehlt ein Junge. Er war acht. Seine Kleidung ist noch da.« Luca flüstert mir ins Ohr, weil er Angst hat, die Tesare könnten unsere Sprache besser sprechen, als wir glauben. »Er ist in das Steinhaus gegangen und kam nicht wieder raus. Er hatte Schnupfen, mehr nicht.«
Ich habe schon mehrere Gespräche dieser Art aufschnappen können. Alle machen sich Gedanken, doch keiner wagt es, die Frau im weißen Kittel zu fragen.
»Haben sie sie weggebracht? Vielleicht, weil kranke keine Leistung erbringen können?«, mutmaße ich.
Luca schüttelt den Kopf. »Das glaube ich nicht. Die Tesare haben sich nie für uns interessiert. Warum sollten sie jetzt anfangen?« Er wischt sich seine Nase am Ärmel seiner Jacke ab und schaut mich ernst aus seinen dunklen Augen an. »Schau dir das alles doch Mal an. Warme Kleidung, gute Hütten, Essen, da stimmt was nicht.«
»Weil die Arbeit, die wir tun, wichtig ist für sie«, sage ich fast schon trotzig. Ich will, dass es so ist. Ich will, dass wir eine Bedeutung für sie haben. Weil es uns hier gut geht, und weil ich möchte, dass es so bleibt. Für Kayla. Und für mich. Mutter hätte es so gewollt. Genau so!
»Sie sind so fortschrittlich. Glaubst du nicht, sie haben andere Mittel um unseren Planeten zu bestehlen?« Luca klingt wütend. Hätte er nicht weiter stumm sein können. Ich habe keine Lust, mir den Spaß verderben zu lassen. »Ich glaube, das hat etwas mit diesem Medikament zu tun«, sinniert er weiter. »Bei uns sind zwei Kinder direkt danach gestorben. Und die, die hier verschwinden, haben auch Krankheitsanzeichen gehabt.«
»Nein.« Ich schüttele hastig den Kopf und schaue besorgt auf meine kleine Schwester, die just in diesem Moment einen Hustenanfall bekommt. Kann Luca nicht einfach schweigen, so wie sonst auch?
Luca beugt sich zu ihr rüber und klopft ihr auf den Rücken. »Da hast du dich ganz schön verschluckt«, sagt er und lacht lauthals. Der Tesar in unserer Nähe beobachtet die Szene genau.
»Danke«, sage ich und lege Kayla einen Arm um die Schulter. »Die Kinder sind krank geworden. Es ist Winter. Da wird man eben schneller krank«, setze ich unser Gespräch fort. Ich will einfach nicht wahr haben, was Luca sagt. Der kleine Junge bei uns im Raum, Samuel, er hat auf das Medikament reagiert. Aber Jasmin, Sven und die anderen? Die Spritze ist doch schon Tage her! Mir gefällt es, zu glauben, dass man sie weggebracht hat, weil sie den Tesaren krank nichts nützen. Das ist besser, als die andere Möglichkeit.
Luca schnauft. »Warum wird dann niemand gesund und kommt wieder zurück? Das alles hier ist doch viel zu schön. Nein, ich trau den Tesaren nicht.«
»Glaubst du, sie sind alle gestorben ?«, flüstere ich. Ich habe Zweifel an dem, was Luca sagt, trotzdem ziehe ich Kayla noch näher an mich. Was, wenn sie krank ist? Was, wenn sie sie auch wegbringen? Ich lege meine Hand auf ihre Wange und streichele sie. Sie ist nicht heiß, wenn überhaupt sieht sie besser denn je aus. Ihre Wangen sind fülliger geworden, die Schatten unter den Augen verschwunden. Das macht das regelmäßige Essen. Trotzdem hinterlassen Lucas Worte ein nagendes Gefühl in mir. Aber wer stirbt denn schon gleich an einem Schnupfen? Und Jasmin, eigentlich hat sie keine Symptome gehabt. Nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass sie krank war.
Luca zieht die Augenbrauen hoch und zuckt mit den Schultern. »Ehrlich, ich habe keine Ahnung, was hier passiert.« Danach verlegt er sich wieder aufs Schweigen. Mit gerunzelter Stirn blickt er in das Feuer. Seine Hände zittern, als er ein paar Kiesel aufsammelt und sie in die Flammen wirft. In seinem Gesicht kann ich deutlich lesen, dass er noch nicht fertig mit dem Thema ist. Noch immer grübelt er darüber nach, was mit den verschwundenen
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