Tesarenland (German Edition)
»Nach so einem Marsch wie diesem, verdrücken selbst so kleine Mädchen wie du, mehr als eine Bestie schaffen würde.«
Kayla hustet, wischt sich über die Nase und lehnt sich an mich. Ich streiche ihr über den Kopf. Wenn wir nur schon da wären. Roland beobachtet mich. Auch er isst nichts. Er nippt an seiner Flasche mit Tee. Ich vermisse den anderen Roland. Dieser hier ist mir unheimlich. Jedes Mal, wenn er glaubt, ich bekomme es nicht mit, wirft er Kayla und mir abschätzige Blicke zu. Ich möchte gern glauben, dass das nur an seiner Erkrankung liegt. Er hat es heute schon am Tag im Unterschlupf getan. »Mich muss der Teufel geritten haben«, hat er einmal gemeint, dann hat er weiter geschwiegen und sich damit zufriedengegeben uns anzustarren.
»Runter!«, brüllt Luca plötzlich.
Roland wirft sich sofort neben Luca auf den Boden. Ich sehe die beiden verwirrt an, auch Kayla rührt sich nicht.
»Runter«, zischt Luca noch einmal.
Kayla lässt sich neben Roland fallen und ich tue es ihr nach. Dann höre ich den Grund dafür, dass wir im Schneematsch liegen und uns unsere warmen Jacken einsauen – das einzig Gute, das uns die Tesare jemals gegeben haben. Eins ihrer kleineren Flugobjekte kommt leise langsam näher. Sie machen so ein merkwürdiges Geräusch, wenn sie am Himmel entlang schweben, fast wie dicke, fette Fliegen. Daher hört man sie lange, bevor sie in Sicht kommen.
Das Raumschiff hat seinen Suchscheinwerfer an und fliegt ziemlich niedrig. Sie suchen etwas oder jemanden. Manchmal sind sie so auch über unsere Kolonie geflogen, um nachzusehen, ob alles noch ruhig und friedlich ist. Diese Flugobjekte sind kaum größer als ein Laster. Marco hat erzählt, es wäre nur für einen Tesar Platz da drin.
Damals, als es wegen des ersten Aufsehers fast zu einem Aufstand gekommen wäre, habe ich gesehen, wie sie damit auf einen Menschen geschossen haben. Auf die beste Freundin mei ner Mutter. Das Raumschiff hat direkt über ihr geschwebt. Es hat still in der Luft gestanden, nur das Summen war zu hören. Dann hat sich ein Loch in seinem Bauch geöffnet, genau in der Mitte des triangelförmigen Objekts. Nichts blieb zurück, nicht einmal mehr Asche. Eben stand sie noch neben Mutter, und dann war sie für immer weg, als hätte es sie nie gegeben. Vielleicht ist dieser schnelle Tod, die beste Art zu gehen. Es geht mir besser, wenn ich mir vorstelle, dass Mutter so gestorben sein könnte. Von einer Sekunde auf die andere.
Das Flugobjekt schwebt jetzt genau über dem Auto. Ich wage nicht, zu atmen. »Nicht bewegen«, murmel ich zu Kayla. Gut, dass das Gestrüpp so hoch ist, dass es uns verschluckt, bete ich in Gedanken wie ein Mantra herunter , als könnte es dadurch wahr werden. Gut, dass das Gestrüpp so hoch ist, dass es uns verschluckt.
Der Lichtstrahl wandert weiter, entfernt sich von uns, aber wir bleiben alle liegen, bis das Summen fast verstummt ist.
Ich stehe auf, und erst jetzt merke ich, wie kalt der Boden war. Nässe hat sich durch meine Jacke gefressen. Ich bibbere. Jetzt einen heißen Tee, denke ich wieder. Kayla zupft Grashalme und Dreck von ihrer Winterjacke, ich helfe ihr dabei, aber meine Finger sind genauso klamm wie ihre, also rubble ich einfach nur über den feuchten Stoff und verschmiere mehr, als ich reinige. Kayla seufzt. Ich sehe ihr ins Gesicht und sie zuckt mit den Schultern.
»Typisch«, sagt sie. Ich stupse ihr gegen die Nase und sie lächelt schwach.
»Los, gehen wir weiter. Je eher wir hier weg kommen, desto eher kommen wir ins Warme. Meine Füße tun vielleicht weh«, sage ich stöhnend und versuche so viel Fröhlichkeit wie möglich in meine Stimme zu legen, in der Hoffnung, es könnte meine Schwester etwas aufbauen. Aber es hilft nicht einmal bei mir. Wie soll es da bei ihr helfen? Sich einzureden, dass es einem gut geht, wenn es nicht so ist, war noch nie vielversprechend, zumindest nicht bei mir. Es führt eher dazu, dass ich noch mehr in mich hineinhorche und dadurch geht es mir dann noch schlechter, weil da plötzlich Wehwehchen sind, die vorher nicht da waren.
Kayla nimmt meine Hand und wir stapfen noch lustloser als zuvor hinter Roland und Luca hinterher. Und die Nacht ist noch lange nicht vorbei, denke ich frustriert.
Nach einer Ewigkeit habe ich abgeschaltet. Ich spüre meine schmerzenden Fußballen nicht mehr, die erfrorenen Fußzehen und auch die Kälte, die meinen Körper durchdrungen hat. Mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen. Nur wenn Luca Kayla auf
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