Tesarenland (German Edition)
Knochen übrig.
Irgendwo hinter mir knackt etwas, als wir gerade dabei sind, unsere Sachen zusammenzupacken. Dem Knacken folgt ein lautes Krachen. Und noch eins. Dann dieses schnarrende Geräusch, das ich niemals vergessen werde. Ich erstarre mitten in der Bewegung. Kayla hat das Schnarren auch erkannt. Sie sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Hinter dir«, flüstert sie. Ich stehe ganz still. Ich kann das Schnarren nur noch durch das Hämmern meines Herzens hindurch hören. Meine Füße sind am Waldboden festgenagelt. Meine Beine sind eine weiche Masse, die mir nicht gehorchen will.
»Rennt!«, brüllt Roland. Die Angst in der Stimme des Rebellen reißt mich aus meiner Lethargie.
Ich drehe mich nicht um. Sehe nicht nach hinten. Schnappe einfach nur nach Kaylas Hand und renne. Immer geradeaus, vielleicht auch doch nicht, ich weiß es nicht. Weit komme ich nicht. Kayla reißt an meiner Hand. Sie schreit mich an. Aber ich verstehe sie nicht. In meinen Ohren rauscht es nur. Dann folge ich ihrem Blick zurück. Zuerst sehe ich nur Luca, der auf uns zugerannt kommt und hektisch winkt. Dann kann ich die Bestie sehen. Sie steht dort, wo eben unser Lager gewesen ist. In ihrem riesigen Maul ein schlaffer Körper. Es ist Roland, sie wirft ihn hin und her. Jeder Muskel in mir gefriert.
»Lauf !«, brüllt jetzt auch Luca. Aber ich kann nicht, mir ist schlecht. Kayla schreit wie irre. Oder bin ich das? Nein, wir schreien beide. Luca bleibt vor mir stehen, haut mir eine runter. Ich sehe ihn an, und doch nicht. Ich bekomme das Bild nicht aus meinem Kopf; Roland, der leblos im Maul der Bestie feststeckt. Seine Glieder die bei jeder Bewegung des Monsters mitschwingen. Luca holt noch einmal aus. Ich halte ihn auf, drehe mich um und renne los.
Wir rennen lange, zumindest solange, dass mir die Lungen brennen. Hinter uns das Schnarren und Schnauben der Bestie. Sie ist nicht schnell, wir sind schneller. Ihre riesige Masse behindert sie. Aber Kaylas Kraft lässt nach. Luca und ich, wir beide schleifen sie mehr durch den Wald, als dass sie selbst rennt. Tränen gefrieren mir auf der Wange. Dieses Ding hat gerade Roland gefressen. Und jetzt jagt es uns.
Ob Mutter auch solche Angst gehabt hat, als die Tesare sie gejagt haben? Musste sie auch rennen? Vielleicht ist sie gestolpert, und dann haben sie sie gefangen. Ich bete zu Mutter, sage ihr, dass wir es doch eigentlich geschafft haben. Selbst wenn wir jetzt sterben, sterben wir als freie Menschen. Dieser Gedanke hat etwas Beruhigendes an sich. Er gibt mir Kraft. Er lässt mich ruhiger werden, verdrängt die Panik. Gerade stelle ich mir vor, wie ich einfach stehen bleibe, mich umdrehe und mich von diesem Monstrum fressen lasse, während Luca Kayla in Sicherheit bringt. Da durchbrechen wir den Wald. Vor uns erstrecken sich Häuser, eingefallen, von Pflanzen überwuchert. Eine Stadt, die von der Natur besiegt wurde.
»Renn weiter«, brüllt Luca. Seine Stimme klingt fest, so als wäre er kein bisschen außer Atem.
Also renne ich. Packe Kaylas Hand noch fester und stürme auf die Häuser zu, die bis an den Waldrand reichen. Die ersten Häuser werden fast vom Wald verschluckt. Ich stolpere über eine Wurzel, kann mich aber halten, und als wir den Wald verlassen und den Stadtrand erreichen, bleibt Luca stehen. Ich packe nach seiner Jacke, weil ich denke, er will das tun, was ich mir eben noch vorgestellt habe. Er will sich opfern. Aber er stemmt sich gegen mich und reißt mich zurück. Ich falle gegen seine Brust. Er umschlingt mich mit seinen Armen und beschützt mich vor dem Sturz. Kayla, die ich hinter mir hergezogen habe, stürzt trotzdem.
Luca löst eine Hand von meinem Körper und hilft Kayla auf. »Wir haben es überstanden«, sagt er. »Die kommen nie bis in die Städte. Die Städte gehören ihren Herren .«
»Aber … ich denke, diese Stadt ist verlassen«, keuche ich noch immer außer Atem. Kayla sieht sich fragend um.
»Die meiste Zeit stimmt das. Die Tesare jagen hier. Deswegen die Bestie. Sollte jemand den Tesaren entkommen, schafft er es selten weiter, als bis in den Wald.«
»Du meinst, Mutter könnte von diesem Ding gefressen worden sein ?« Kayla hängt sich an meinen Arm, sie japst laut nach Luft, hustet. Auf ihren Lippen glänzt Blut, dunkelrot und Furcht einflößend.
»Bestimmt war sie in einer anderen Stadt .« Was anderes ist mir nicht eingefallen, um sie zu beruhigen. Ich drücke sie fest an mich, streichle ihr über den Rücken und hoffe, das hilft
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