Tesarenland (German Edition)
neue Kraft sammeln, rede ich mir ein.
Luca rückt ein Stück, als ich mich zu ihm setze. Eine Weile schweigen wir, starren gemeinsam auf Kaylas Brust, die sich nur langsam hebt und senkt.
»Das mit Roland tut mir leid«, sage ich irgendwann. Ich kann nicht vergessen, wie diese Bestie ihn hin und her geworfen hat. Dieses Bild wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen, und an Tagen, an denen ich mich besonders schlecht fühle, wird der Körper im Maul der Bestie, der meiner Mutter sein.
»Danke, aber ich kannte ihn selbst nicht besser als du .«
»Aber er war einer von euch«, sage ich.
Luca kneift die Lippen aufeinander. Ich kann spüren, wie er sich verkrampft. Ich wünschte, er würde nicht ständig mutig sein wollen. Ich wünschte, er würde seine Gefühle eingestehen. Wovor hat er Angst? Ich kann doch am besten nachvollziehen, wie es ist, jemanden zu verlieren, und wenn stimmt, was Roland gesagt hat, hat Luca in den letzten Tagen seine ganze Familie verloren. Neben mir graben sich seine Finger in die Matratze, ich lege meine Hand über seine. Luca zieht seine weg. Es versetzt mir einen Stich, aber ich tue so, als würde es mir nichts ausmachen.
»Du bist so anders, seit wir die Kolonie verlassen haben«, sage ich zu ihm. Ich will seine Stimme hören. Sie hat so eine besänftigende Wirkung auf mich. Sie soll mich von meinen düsteren Gedanken ablenken. Es wäre schön, wenn ich mir nur ein paar Minuten keine Sorgen um Kayla machen müsste. Es wäre schön, wenn da nur Lucas Stimme wäre. Er soll mir etwas erzählen, egal was, die Hauptsache er redet.
»Was meinst du mit anders?«, fragt er nach einer Weile.
»Du bist nicht mehr so schweigsam. Sonst hast du nie jemanden an dich herangelassen. Du hast immer nur da gesessen, irgendwo vor einem Haus, und hast uns aus funkelnden Augen beobachtet«, sage ich und sehe ihn an.
Er schielt kurz zu mir auf, streicht sich mit der Hand durch sein dichtes Haar und lächelt. »Mit abweisend könntest du recht haben. Ich hab euch gehasst. Ich habe es gehasst, wie ihr euch abgefunden habt mit eurem Leben in Gefangenschaft. Keinen Finger habt ihr krumm gemacht, um euch zu befreien, während wir da draußen sterben, auf der Suche nach einem Weg euch zu helfen .«
Was Luca da sagt, ist so gemein, dass ich die Schönheit seiner heiseren Stimme sofort vergesse. Aber ganz ähnlich habe ich auch über die Rebellen gedacht zu Beginn unserer Reise. Trotzdem bin ich wütend, und das, obwohl ich längst weiß, dass stimmt, was Luca sagt.
»Das ist … Ich weiß gar nicht was ich sagen soll, so wütend bin ich«, fahre ich ihn entrüstet an. »Du weißt genauso gut wie ich, dass es keine Möglichkeit gibt, den Zaun auszuschalten oder zu überlisten.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagt er sanft und legt eine Hand auf meinen Oberschenkel. Sie fühlt sich ganz warm an und von der Stelle breiten sich Schauer über meinen Körper aus, wie ich sie noch nie bei einer Berührung durch eine andere Person gespürt habe. Dieses Gefühl verunsichert mich und ich will mich Luca gleichzeitig entziehen und noch mehr von ihm spüren. Ich bin verwirrt und weiß nicht, was ich davon halten soll, also entscheide ich mich für den Rückzug.
»Es ist …«, sagt er stockend. »Eigentlich war ich wütend auf mich, nicht auf euch. Weil ich mir eingestehen musste, dass ich genauso gefangen war wie ihr. Plötzlich war ich wie ihr, hilflos. Deswegen wollte ich nichts mit euch zu tun haben. Ich habe euch für eure Hilflosigkeit verabscheut. Aber eigentlich habe ich mich dafür verabscheut. Weil ich nichts tun konnte. Alles, was ich mein Leben lang gelernt habe, hat mir nicht helfen können. Je mehr mir klar wurde, dass es keinen Ausweg gibt, desto wütender bin ich geworden. Ich konnte dieses Leben einfach nicht akzeptieren. So bin ich nicht erzogen worden.« Lucas Stimme bebt plötzlich. »Meine erste Waffe habe ich mit sieben bekommen. Meinen ersten Tesaren habe ich mit neun gefoltert, mit elf den ersten getötet. Das war mein Leben. Ich habe sie bekämpft, nicht akzeptiert wie ihr es scheinbar tut. Mein Leben lang habe ich gelernt, sie zu hassen und plötzlich war ich von ihnen abhängig, darauf angewiesen, dass sie mich mit Nahrung versorgen.
Die se eine Mission war meine erste gewesen. Solange ich zurückdenken kann habe ich mich auf diesen Augenblick vorbereitet; Nahkampflektionen, Waffenkunde, Feldausbildung … Ich habe alles gelernt, was ich wissen muss, um eine Mission zu erfüllen, und dann
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