Tesarenland (German Edition)
ihr besser zu atmen. Innerlich verfluche ich Luca, das Kaninchen, die Bestie und mich. Kayla würde es nicht so schlecht gehen, wenn wir nicht hätten rennen müssen. Diese ständige Angst um meine Schwester frisst mich fast auf. Sie nagt an mir, lässt mich kaum an etwas anderes denken.
Plötzlich reißt Kayla sich von mir los. Sie stößt mich regelrecht von sich, stolpert rückwärts, fängt sich im letzten Augenblick und beugt sich vornüber. Sie erbricht sich mitten in einen kläglichen Schneehaufen. Reste vom Hasenfleisch vermischt mit dunkelroten und hellroten Schlieren.
»Blut«, haucht Luca mir ins Ohr.
Eine Träne läuft mir über die Wange, hinterlässt eine kalte Spur auf meiner vom Rennen erhitzten Haut. Luca nimmt meine Hand in seine und drückt sie tröstend. Dann geht er rüber zu Kayla, streicht ihr über die Schultern und spricht leise mit ihr.
Ich weiß, ich sollte sie auch trösten, aber ich kann nicht. Meine Füße rühren sich nicht vom Fleck. Ich fühle mich so hilflos wie lange nicht mehr. Das hätte Mutter nicht für Kayla gewollt. Das nicht und auch nicht ein Leben auf ständiger Flucht. Wieder steigen Zweifel in mir auf. Wieder weiß ich nicht, ob es ein Fehler war, mit Kayla in die Welt außerhalb der Kolonien zu fliehen. Andererseits wäre sie schon längst tot, hätten wir es nicht gewagt. Ich muss einfach all meine Hoffnung auf die Rebellen lenken. Wenn wir sie erst erreicht haben, dann werden sie meine Schwester retten.
»Wir sollten sie zum Unterschlupf bringen, damit sie sich ausruhen kann .« Luca sieht mich ernst an. Ich stehe noch immer hinter den beiden und kann mich nicht rühren.
Mit einem Kopfschütteln reiße ich mich aus der Lethargie, reibe mir über die Schläfen, dann schiebe ich Luca von Kayla weg und nehme sie hoch. Ihre Beine schlingen sich um meine Taille, ihre Arme um meinen Hals. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und atmet mir in den Nacken. Ihr Atem ist ganz heiß, sie hat Fieber, wird mir erschreckend klar. Sehr hohes Fieber. Warum nur geht es ihr immer schlechter? »Beeilen wir uns.«
Luca hat schon lange den Plan aus seiner Jackentasche gezogen, den Roland für den Fall gezeichnet hat, da wir uns verlieren sollten. Mit großen Schritten geht er voraus.
Kayla ist schwer, nach nur wenigen Metern beginnen meine Arme schon zu protestieren, die Muskeln meiner Oberschenkel brennen, aber ich beiße die Zähne zusammen und gehe weiter. Ich muss es schaffen. Einfach den Schmerz in den Muskeln ignorieren. Ich könnte sie Luca geben, er ist stärker als ich. Aber das will ich nicht. Ich will sie selbst tragen, will sie nahe bei mir haben. Also sage ich mir, lenk dich ab. Denk nicht an den Schmerz, denk nicht an ihr Gewicht, konzentrier dich auf deine Umgebung.
Die meisten Häuser, an denen wir vorbeikommen sind, eingefallen. Von manchen steht gerade noch eine Wand, andere sind von Ranken überwuchert. Im Frühjahr werden diese vielleicht wunderbar grün sein, aber jetzt im Winter sind sie kahl und grau. Laub und Gras wechseln sich ab und geben nur an wenigen Stellen den schwarzen Untergrund preis, den ich aus der Tesarenstadt kenne. So sieht also eine Stadt aus, um die sich niemand mehr kümmert? Der Unterschied zu der Stadt, die wir eben erst verlassen haben, ist gewaltig. Hier hat sich die Natur alles zurückerobert. Ich kann mir nicht vorstellen, wo wir hier einen Unterschlupf finden sollen. Aber es gibt tatsächlich einen.
Luca führt uns ein paar überwucherte Treppen hinunter, die kaum noch als Treppen zu erkennen sind. Sie führen in ein dunkles Loch. Er schaltet seine Taschenlampe ein und leuchtet nach unten.
»Das war früher mal eine U-Bahn-Station.« Er sieht mich an und zieht die Augenbrauen hoch. »Soll ich sie nicht lieber nehmen? Du kannst ja kaum noch stehen.«
Energisch schüttle ich den Kopf und trete von einem Bein auf das andere, um die Muskeln kurz zu entlasten.
»Was ist eine U-Bahn-Station?«, murmelt Kayla an meiner Schulter. Ich weiß es nicht, also sage ich nichts.
»Früher sind hier unten so was wie ganz lange Autos langgefahren. Die haben Menschen von einem Ort zum anderen transportiert«, erklärt Luca und geht langsam weiter. »Die konnten sich nur auf Schienen bewegen. Diese Tunnel führen unter der ganzen Stadt entlang .«
Als wir tiefer kommen, wird das gehen leichter. Hier unten gibt es keine Pflanzen, es ist zu dunkel. Der Untergrund ist recht eben. Bis Luca vor einem Rand stehen bleibt.
»Das da unten sind die
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