Tessy und die Hörigkeit der Malerin - 1
Begrüßung.
Paula schwieg so lange, dass Tessy schon befürchtete, sie hätte die Frage nicht verstanden.
„Du machst Witze, oder?“, entgegnet Paula schließlich ruppig.
Tessy schüttelte verwirrt den Kopf. „Wie meinst du das?“
„Wie kommst du auf die Friesenstraße?“
„Ich bin Simon auf den Fersen – übrigens scheint sich noch jemand für sein Tun zu interessieren, aber das nur so am Rande. Er hat in der Friesenstraße 3 eingehend die Namensschilder studiert und verschwand dann kurz im Haus“, erläuterte Tessy. „Warum regierst du so merkwürdig?“
„Kann ich dir sagen – meine Neffe hat da gewohnt.“
„Was? Sag mal – bist du zu Hause? Ich habe einige Fotos gemacht – vielleicht wirfst du einen Blick darauf.“
„Mach ich gerne.“
Paula wohnte in Tempelhof, und Tessy brauchte keine zehn Minuten zu ihr. Die kleine Altbauwohnung lief ganz unter Ikea-Flagge. Es duftete nach frischem Kaffee. Paula sah mitgenommen aus und machte auch keinen Hehl aus ihrem derzeitigen Kummer.
„Meine Schwester heult sich die Augen aus dem Kopf nach dem Drama um Robin“, erläuterte sie. „Obwohl das irgendwie nicht wirklich überraschend kommt, aber das will sie natürlich nicht hören. Außerdem brauche ich dringend einen neuen Job …“ Sie winkte ab. „Entschuldige – ich will dich nicht mit meinem Stress belasten.“
„Ach, tu dir keinen Zwang an“, ermunterte Tessy sie, während sie in die Küche gingen.
Auf dem Küchentisch stand ein Laptop. Paula goss zwei Tassen Kaffee ein und nickte in Richtung des PCs. „Bedien dich.“
Tessy schloss ihre Kamera an, und Paula sah die Aufnahmen durch, während sie Kaffee tranken. Sie nickte. „Ja, wie gesagt – da hat mein Neffe gewohnt. Aber was hat Simon dort verloren?“
„Vielleicht handelt es sich um einen Zufall.“
Paula schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht …“
„Sag mal, kennst du den?“ Tessy hatte einige aussagekräftige Aufnahmen des Rollerfahrers herausgesucht.
Paula runzelte die Stirn. „Nein. Er dürfte ungefähr in Robins Alter sein, aber … Was ist mit ihm?“
„Er hat Simon verfolgt.“
„Bist du sicher?“
„Allerdings.“
Paula schüttelte erneut den Kopf. „Tut mir leid, dass ich dir nicht weiterhelfen kann.“
„Schon gut, da kannst du ja nichts für“, beschwichtigte Tessy sie. „Ich werde mal abwarten, ob der Typ noch mal auftaucht.“
Paula nickte. Sie sah müde aus. Tessy legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. „Danke für den Kaffee. Wir sehen uns.“
Nach kurzem Überlegen fuhr Tessy erneut in die Friesenstraße. Weder vom Rollerfahrer noch von Simon war irgendeine Spur zu sehen. Sie parkte, griff zu ihrer Kamera und stieg aus, um die Namensschilder zu fotografieren. Das ging schneller und war unauffälliger, als wenn sie sich die Bewohner notierte.
Mit einem Glas Wein, dazu Schafskäse und Pide genießend, saß sie später zu Hause an ihrem Laptop, zu ihren Füßen Kater Chili, der nach einer deftigen Klopperei seinem Kumpel Pepper aus dem Weg ging. Tessy sah die Fotos durch und ordnete sie. Die Namensschilder waren eine besondere Herausforderung. Einige waren in Druckschrift verfasst und gut lesbar – so der von Robin Mihlan –, auf anderen drängten sich mehrere handgeschriebene Namen neben- und übereinander; manche waren nur flüchtig hingekritzelt oder kaum noch zu erkennen. Auf einem war ein Name durchgestrichen und verblasst, den man aber gerade noch lesen konnte: Charlt.Toger . Darüber stand der des neuen Mieters. Charlt.? Tessy stutzte und rief erneut Paula an. Fragen kostete schließlich nichts.
„Weißt du zufällig, wie die hübsche Freundin von Philipp Sommer mit Nachnamen heißt?“
„Zufällig ja: Toger. Warum?“
„Weil die mal in der Friesenstraße drei gewohnt hat.“
„Das glaube ich jetzt nicht!“
„Solltest du aber. Sie hat neben Robin gewohnt. Ich habe es schwarz auf weiß. Der Nachmieter hat ihren Namen auf dem Türschild schlicht durchgestrichen, aber man kann ihn noch erahnen. Vielleicht hat Simon ihretwegen hier rumgeschnüffelt. Außerdem hätte ich große Lust, die Lady mal kennen zu lernen.“
„Vergiss es – die lebt da in einem goldenen Käfig. Außerdem und so ganz nebenbei ist sie eine hundertprozentige Hetera.“
Tessy lachte laut und herzlich. Paula hatte sie also längst durchschaut – oder Gertrud hatte geplaudert. „Liebe Paula, wenn du wüsstest, wie viele so genannten hundertprozentigen Heteras ich schon genüsslich
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