Tessy und die Hörigkeit der Malerin - 1
mich ums Geschäft. Du fummelst mir nicht rein, ich dir nicht.“
Sie starrte ihn an. Er meinte es ernst. „Witzbold! Wir kommen aus völlig unterschiedlichen Welten und kennen uns kaum. Manchmal ist wochenlang Funkstille – für eine ernsthafte Beziehung reicht das kaum. Und nur so nebenbei: Ich lasse mich nicht aushalten“, entgegnete sie rasch.
„Ernsthafte Beziehung – wie spießig! Wir sind dabei, uns kennen zu lernen, und die Frau, mit der ich zusammen lebe, braucht nicht zu jobben.“
Charlotte zeigte ihm einen Vogel, aber ihre Finger zitterten leicht. „Der Spruch stammt aus dem letzten Jahrhundert. Ich brauche meine Selbständigkeit. Ich will nicht von dir oder von sonst wem abhängig sein.“
„Unsinn! Fühl dich frei. Du malst, und ich strecke meine Fühler ein bisschen aus. Den einen oder anderen Galeristen kenne ich schließlich auch. Dann wirst du eine viel beachtete Künstlerin und verdienst ein Schweinegeld. Na, sind das keine Aussichten? Denk darüber nach.“ Er biss ihr in die Schulter. „Ich finde, wir haben genug geredet und sollten jetzt vögeln.“
Charlotte hatte sich bislang nicht vorstellen können, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, schon gar nicht, um mit einem so unberechenbaren Typen wie Philipp unter einem Dach zu leben. Ein Mann, der ganze Bereiche seines Lebens nur für sich allein haben wollte und dessen Willensstärke oftmals an Herrschsucht grenzte. Aber sie hatte sich bisher auch nicht vorstellen können, dass Sex so in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken könnte. Ungewöhnlich intensiver Sex. Der immer hungriger machte. Und natürlich war der Gedanke verlockend, ohne Geldsorgen leben und arbeiten zu können. Was hatte sie zu verlieren? Das Problem war, dass sie nicht wusste oder nicht wissen wollte, wie hoch der Preis sein würde, den sie dafür zu zahlen hatte. Irgendwann.
Ein Jahr, dachte sie schließlich, ich versuche es ein Jahr. Charlotte nannte ihren neuen Lebensabschnitt: Experiment Gemeinsamkeit.
Allerdings stellte sie bald fest, dass von Gemeinsamkeit außerhalb ihrer sexuellen Erlebnisse und einiger alltäglicher Ereignisse nicht die Rede sein konnte. Philipps Geschäfte und Termine gingen sie nichts an, wohingegen es ihn durchaus interessierte, wie sie ihre Zeit verbrachte. Er reagierte unwirsch auf alle möglichen Fragen – zum Beispiel nach seiner Familie. Dass sein Vater vor geraumer Zeit verstorben, seine Mutter in einem Pflegeheim lebte und der Kontakt kaum der Rede wert war, erfuhr Charlotte ganz nebenbei.
Ihr Angebot, im Geschäft mitzuarbeiten, hatte Philipp abgelehnt: Sie hätte Besseres zu tun und sollte weder Simon noch ihm und Paula, der Buchhalterin, in die Quere kommen. Auch Holger, der als Tischler und Restaurateur arbeitete, war ein Eigenbrötler, der die Werkstatt selten verließ und den sie nicht zu stören hatte.
„Vertraust du mir eigentlich?“ fragte Charlotte Philipp eines Tages, nachdem sie rein zufällig mitbekommen hatte, dass Paula entlassen worden war, ohne dass er ihr gegenüber auch nur ein Wort darüber verlor.
„Wir leben zusammen. Und ich bin ein überzeugter Einzelgänger.“
Das war eindeutig zurückweisend, und Charlotte wusste, dass ihm das klar war und dass es ihm nichts ausmachte, sie zu verletzen. Einige Zeit später würde sie an dieses Gespräch zurückdenken und sich fragen, ob ihr nicht spätestens an diesem Abend hätte klar werden müssen, dass diese Beziehung nicht die richtige für sie war. Aber hinterher war man immer schlauer.
5
Das war der ödeste Job, den sie je gemacht hatte. Tagelang beschattete Tessy über viele Stunden das Antiquitätengeschäft von Philipp Sommer, ohne dass sich irgendetwas Nennenswertes tat. Sie trank Kaffee, las, schoss ab und an Fotos, hörte Musik, machte sich Notizen und vertrat sich die Beine. Alle zwei Tage hatte Tessy ihren Auftraggebern eine detaillierte Auflistung der Aktivitäten von Philipp Sommer und Simon Koch vorzulegen.
Zu den einsamen Höhepunkten ihres Auftrages gehörten Touren durch die Stadt, die Simon oder Philipp oder beide gemeinsam unternahmen, um Möbelstücke auszuliefern oder abzuholen oder sich mit Geschäftspartnern zu treffen. Von Paula wusste Tessy, dass die beiden auch regelmäßig Fahrten nach Süddeutschland unternahmen, aber ihre Auftraggeber hatten sie angewiesen, den beiden zumindest anfangs nur in Berlin und Umgebung auf den Fersen zu bleiben und darüber genauestens Buch zu führen.
Charlotte hatte mit den Geschäften
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