Test: Phantastische Erzahlungen
er die Maske trug. Er schluckte einen Viertelliter Wasser und konnte sich bei dieser Gelegenheit davon überzeugen, daß es einfach nur salzig war.
Als man ihm die Maske aufsetzte, begann es in seinen Ohren leise zu rauschen. Dunkelheit umf ng ihn, das Wasser trug ihn leicht und reglos. Pirx hielt es für ratsam, ein wenig die Muskeln zu lockern. Er versuchte erst gar nicht, die Augen zu öf nen, wußte er doch, daß das unmöglich war – das Paraf n, das Wangen und Stirn umschloß, ließ keine Bewegung der Lider zu. Nach einer Weile begann ihn ein Juckreiz zu quälen. Er hätte sich gern die Nase und dann das rechte Auge gekratzt – aber da war die Maske. Von einem Jucken hatte er in den Berichten anderer »Ertrunkener« nichts gehört – of enbar war das sein ganz pri vater Beitrag zur experimentellen Psychologie. Er ruhte völlig gelähmt im Wasser, das seinen nackten Körper weder wärmte noch kühlte. Ihm war, als habe er aufgehört zu existieren.
Pirx hätte ohne weiteres die Beine oder wenigstens die Zehen bewegen können, um sich zu überzeugen, daß sie naß und glitschig waren, aber er tat es nicht: Über ihm, an der Decke, wachte das unbestechliche Auge der Kamera – für jede Bewegung gab es Strafpunkte. Er lauschte in sich hinein und vernahm seine eigenen Herztöne, sie waren schwach, sie schienen aus riesiger Entfernung zu kommen. Das Jucken hatte nachgelassen, es gab nichts, was ihn belästigte – er fühlte sich soweit ganz wohl. Albert hatte die Röhrchen so geschickt in der Maske befestigt, daß man sie nicht spürte. Pirx spürte überhaupt nichts, die Leere wurde allmählich beängstigend. Zunächst verlor er das Gefühl für die Lage seines Körpers, er wußte nicht, wie er die Hände und die Füße hielt, er erinnerte sich lediglich daran. Dann begann er zu überlegen, wie lange er bereits unter der weißen Paraf nmaske lag. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, wieviel Minuten – Viertelstunden? – vergangen waren. Und das passierte ihm, der ein so gutes Zeitgefühl besaß, der auch ohne Uhr fast auf die Minute genau sagen konnte, wie spät es war!
Während er noch darüber staunte, schwand sein eigenes Ich immer mehr dahin. Ihm war, als habe er keinen Leib, kein Gesicht – er begann sogar daran zu zweifeln, jemals existiert zu haben. Ein angenehmer Zustand war das nicht. Im Gegenteil er war entsetzlich. Ihm schien, als löse sich sein Körper nach und nach im Wasser auf – andererseits war er sich gar nicht mehr bewußt, daß er im Wasser lag. Auch seine Herztöne waren verstummt. Er lauschte gespannt – nichts. Dagegen begann die Stille, die ihn vollends ausfüllte, zu dröhnen. Ein dumpfes, unangenehmes Brummen umf ng ihn, ein unausgesetztes Rauschen, er hätte sich am liebsten die Ohren zugestopf . Sicherlich ist schon allerhand Zeit verstrichen, sagte er sich. Ich könnte mir ruhig ein paar Strafpunkte einhandeln … Er wollte die Hände bewegen – aber er hatte nichts, was er bewegen konnte. Hände waren nicht da. Er erschrak nicht einmal, er war nur verdutzt. »Verlust des Körpergefühls« nannte man das, Pirx hatte davon gelesen, aber daß diese Erscheinung so absolut sein würde, hätte er nicht gedacht.
Of enbar mußte das so sein … Hauptsache, er bewegte sich nicht … Wenn man eine gute Placierung erreichen will, muß man eben dies und jenes in Kauf nehmen … Eine Zeitlang war diese Maxime sein Halt. Wie lange? Er wußte es nicht.
Allmählich verschlimmerte sich seine Lage.
Es f ng damit an, daß die Schwärze, die ihn umgab, die Finsternis, die er gleichsam selbst verkörperte, von schwachen Fünkchen, von f immernden Kreisen erhellt wurde. Er rollte die Augäpfel hin und her, und es tröstete ihn, daß er wenigstens diese Bewegungen wahrnahm. Aber dieser Trost hielt nicht lange an – nach wenigen Versuchen waren auch die Augen seiner Gewalt entglitten …
Bei diesem Funkeln und Flimmern, Rauschen und Brummen handelte es sich um visuelle und akustische Phä nomene – sie waren eine harmlose Einleitung, ein Kinderspiel gegenüber dem, was nun folgte.
Er zerf el, das heißt … was da zerf el, war nicht etwa der Körper. Von einem Körper konnte man ohnehin nicht mehr sprechen, er hatte schon vor Jahrhunderten zu leben aufgehört, er war Vorvergangenheit, war unwiderruf ich verloren. Hatte es ihn überhaupt einmal gegeben?
Mitunter kommt es vor, daß einem die Hand abstirbt, weil sie schlecht durchblutet ist. Man kann
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