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Test: Phantastische Erzahlungen

Test: Phantastische Erzahlungen

Titel: Test: Phantastische Erzahlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sie mit der anderen, lebenden Hand berühren wie ein Stück Holz. Fast jeder kennt dieses merkwürdige, unangenehme Gefühl, das zum Glück rasch vergeht. Man selbst ist in diesem Zustand ganz normal, man wacht und lebt – nur ein paar Finger sind von Totenstarre erfaßt, sie muten an wie ein Gegenstand, der am übrigen Körper klebt. Pirx aber besaß nichts mehr, ihm war nichts geblieben außer der Angst.
      Pirx zerf el – er zerf el nicht in irgendwelche andere Persönlichkeiten, sondern in Ängste. Wovor hatte er Angst? Er wußte es nicht. Er erlebte weder die Wirklichkeit, denn die gibt es nicht ohne Körper, noch den Traum – denn er träumte ja nicht. Er wußte, wo er war und was man mit ihm tat, und es hatte auch nichts mit Trunkenheit zu tun. Nein – es war etwas anderes, er hatte auch darüber etwas gelesen. Es nannte sich »Desorganisierung der Hirnrindentätigkeit, verursacht durch Beraubung des Hirns um seine af erenten Impulse«. Das klang nicht schlecht, aber …
      Er wähnte sich mal hier, mal dort, alles um ihn herum zerf oß, Richtungen, Berg, Tal, Seite … Wo mag die Zimmerdecke sein? fragte er sich. Es gelang ihm nicht, sich zu er innern. Er hatte keinen Orientierungssinn mehr, so wie er keinen Körper und keine Augen hatte.
      Gleich, gleich …, dachte er. Gleich werde ich wieder Ordnung schaf en. Raum … Dimensionen …
      … Bedeutungslose Begrif e … Prix bemühte sich um einen Zeitbegrif . »Zeit, Zeit«, wiederholte er mechanisch, als kaue er ein Stück Papier. Ein Konglomerat ohne jeden Sinn … Nicht er wiederholte das, sondern irgendein Niemand, ein Fremder, der in ihm war, der sich eingeschlichen hatte … Nein, es war umgekehrt – er, Pirx, steckte in einem anderen, und dieser andere, dieser Jemand blähte sich auf, wuchs ins Unermeßliche, ins Grenzenlose. Er wandelte in unerfaßbaren Räumen, riesengroß wie ein Ballon … Es war kein Mensch, es war ein Finger, ein gigantischer Finger … Weiß der Himmel, wo er herkam …
      Der Finger verselbständigte sich, es war bedrückend. Erst blieb er starr, dann aber begann er sich zu krümmen, drohend und verrückt zugleich … Pirx taumelte im Innern dieses abscheulichen, nichtsnutzigen Gebildes hin und her, wurde von einer Seite auf die andere geworfen …
      Der Finger verschwand. Pirx drehte sich. Kreiste. Fiel wie ein Stein, wollte schreien. Um ihn herum war ein Flimmern – etwas Ovales, Gaf endes, Zerf ießendes bedrängte ihn, und wenn er sich bemühte, diesem Spuk die Stirn zu bieten, kroch das f immernde Etwas auf ihn zu, schien ihn sprengen zu wollen … Er war nur noch ein dünnwandiger Behälter, der zu bersten drohte.
      Und er barst …
      Er zerf el in zahllose schwarze Schatten, die wie verkohlte Papierfetzen chaotisch umherf atterten. In diesem Schwanken und Flattern lag eine unbegreif iche Spannung, ein Krampf wie bei einer tödlichen Krankheit. Dieses Nichts, diese unempf ndliche, erstarrte Wüste, die einst ein leistungsfähiger Körper gewesen war, schien sich durch Nebelschwaden zum letztenmal zu melden, schien ein letztes Lebenszeichen auszusenden, schien sich zu bemühen, einen anderen Menschen zu erreichen, ihn zu sehen, zu berühren … »Halt!« sagte eine Stimme in ihm. Sie klang erstaunlich nüchtern, aber zugleich fremd. Nein, er war das nicht mehr, es war ein anderer, der ihn ansprach – irgend jemand, der ihn bemitleidete … Wen? Wo? Aber er hatte ihn doch gehört … Nein, das war keine wirkliche Stimme …
      »Ruhig, ruhig … Andere haben das auch schon erlebt. Davon stirbt man nicht … Haltung, Haltung …«
      Die Worte drehten sich im Kreise, bis sie ihren Sinn verloren, bis alles wieder aus den Fugen ging und sich auf öste wie feuchtes graues Seidenpapier. Er schmolz wie ein Schneeberg in der Sonne, wurde hinweggespült, irgendwohin, ohne sich zu rühren. Gleich gibt es mich nicht mehr …, dachte er allen Ernstes, denn das war kein Traum mehr, das war wie der Tod. Nur eines wußte er noch: daß er nicht träumte. Von allen Seiten f el es über ihn her – nein, nicht über ihn, über sie … Er hatte sich vervielfältigt, er bestand aus vielen Wesen. Aus wie vielen? Er konnte sie nicht zählen …
      Was tue ich hier? fragte es in ihm. Wo bin ich? Im Ozean? Auf dem Mond? Ein Versuch …?
      Pirx glaubte nicht mehr an ein Experiment. Wie denn …, dachte er. Etwas Paraf n, ein Bassin mit Salzwasser – und der Mensch hört auf zu existieren? Nein, Schluß damit

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