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Test: Phantastische Erzahlungen

Test: Phantastische Erzahlungen

Titel: Test: Phantastische Erzahlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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unerheblich, denn Langner ging ziemlich rasch den Hang hinauf und atmete stärker. Der helle Schein seines Skaphanders war auf dem Schirm bedeutend länger zu sehen als die Felskonturen, die sogleich verloschen, wenn der Leitstrahl vorüber war. Dann schrumpfte der »Schmetterling« plötzlich und klappte die Flügel zusammen – der Schirm war leer, der Schein des Skaphanders verschwand. Langner war in den Schacht gestiegen, dessen Bleiwände den Strom der Signale abschnitten. Gleichzeitig f ammte auf dem Hauptschaltbrett purpurn das Wort ALARM auf, und das Bild, das im Lokalisator zu sehen war, änderte sich. Die Radarantenne, die immer noch mit der gleichen Bewegung kreiste, verringerte ihren Neigungswinkel, um nacheinander immer weitere Segmente des Geländes zu durchkämmen. Das geschah, weil die Apparatur nicht wußte, was sich ereignet hatte: der Mensch war plötzlich aus dem Bereich ihrer elektromagnetischen Macht verschwunden. Nach drei, vier Minuten begann der »Schmetterling« wieder zufächeln, das Radargerät fand den Verlorenen wieder, beide voneinander unabhängigen Sy steme registrierten seine erneute Gegenwart. Langner hatte den Schacht verlassen und kehrte zurück. Das Alarmzeichen leuchtete noch immer, man mußte es ausschalten. Tat man das nicht, so besorgte das nach zwei Stunden der Zeitausschalter – die Apparatur sollte nicht zuviel Strom verbrauchen, denn in der Nacht schöpf en sie nur aus den Akkus. Am Tage lud die Sonne die Akkus auf.
      Pirx stellte fest, daß die Apparatur nicht sonderlich kompliziert arbeitete. Langner mischte sich in diese Experimente nicht ein. Er glaubte den Protokollen. So oder ähnlich müsse sich das Unglück abgespielt haben, sagte er. Außerdem war er der Meinung, daß sich Unfälle nicht vermeiden ließen.
      »Die Klischees?« erwiderte er auf Pirx’ Einwurf. »Die Klischees haben gar keine Bedeutung. Wenn man zerstreut ist, passieren einem noch ganz andere Sachen. Die Logik verläßt uns viel früher als das Leben, und dann beginnt jeder sinnlos zu handeln.« Pirx verzichtete auf eine weitere Diskussion.
      Die zweite Woche der Mondnacht neigte sich ihrem Ende zu. Nach allen Untersuchungen wußte Pirx genausoviel wie zuvor. Soll der tragische Unfall tatsächlich für immer unaufgeklärt bleiben? fragte er sich. Vielleicht gehört er zu den Ereignissen, die in Millionen von Fällen eben einmal vorkommen und die sich nicht rekonstruieren lassen … Nach und nach ging er dazu über, Langner ein wenig zu helfen. Etwas mußte er ja schließlich tun, um die langen Stunden auszufüllen. Er lernte den Astrographen bedienen. Es ist also doch nur ein gewöhnliches Ferienprakti kum, sagte er sich. Er übernahm es, zum Schacht zu gehen, in dem die Klischees belichtet wurden, das heißt, er wechselte sich mit Langner ab.
      Das Morgengrauen nahte, das Pirx ungeduldig erwartete. Er gierte förmlich nach Neuigkeiten aus aller Welt und drehte am Radio herum, aber das einzige, was er dem Empfänger entlockte, waren knackende und pfeifende Geräusche – ein Spektakel, der den nahen Sonnenaufgang ankündigte. Nach dem Frühstück war es Zeit, die Platten zu entwickeln. Mit einer beschäf igte sich Langner besonders intensiv, er hatte die wunderbar klare Spur eines Mesonenzerfalls entdeckt. Begeistert rief er Pirx ans Mikroskop, aber der zeigte sich für die Reize von Kernveränderungen nicht empfänglich. Dann nahmen sie das Mittagessen ein, und danach hielten sie sich am Astrographen auf und beobachteten den Sternenhimmel. Die Zeit zum Abendbrot rückte näher. Langner machte sich bereits in der Küche zu schaffen, als Pirx im Vorübergehen den Kopf durch den Türspalt steckte und seinem Gefährten sagte, daß er hinausgehen wolle. Langner studierte gerade ein kompliziertes Rezept auf der Schachtel mit Eierkuchenpulver. Er brummte Pirx nur zu, er solle sich beeilen, die Omeletten wären in zehn Minuten fertig.
      Pirx war bereits im Skaphander, er hielt das Päckchen mit den Klischees in der Hand und überprüf e, ob die Klemmen den Helm gut an den Kragenansatz drückten. Er öf nete beide Türen – die zur Küche und die zur Funkstation – und betrat die Kammer. Er schlug die hermetische Tür hinter sich zu, kroch nach oben, öf nete die Klappe – ver schloß sie jedoch nicht, weil er rasch zurückkehren wollte. Pirx sah nichts Gefährliches in seinem Verhalten, denn Langner hatte ja nicht vor, ebenfalls hinauszugehen.
      Die Finsternis des Alls umf ng ihn.

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