Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
eine halbe Stunde später ruft Holger Roland an. Sie sind kurz vor Karlsruhe. Leider wieder Mailbox. Holger sagt, dass sie in einer Viertelstunde da sind. Um kurz vor neun lässt Holger zwei Mitfahrer am Hauptbahnhof in Karlsruhe aussteigen. Er beugt sich hinter zu Murad. Der kann sich jetzt ruhig zu ihm nach vorne setzen. Doch Murad pennt immer weiter. Muss ein ganz schönes Schlafdefizit haben. Seit München hatte er nicht einmal die Augen offen.
Fünf Minuten später hält Holger an der vereinbarten Straßenbahnhaltestelle. Er schaut auf die Uhr. Es ist 21 Uhr. Zwei Stunden zu spät. Doch von Roland ist nichts zu sehen. Er versucht, ihn anzurufen. Mailbox. Wieder mal. Scheiße, was soll er jetzt machen? Er hat nur diese eine Nummer. Am liebsten würde Holger weiterfahren. Aber er kann ja Rolands Tasche nicht so einfach am Treffpunkt stehen lassen. Also wartet er. Hoffentlich kommt Roland bald. Fröstelnd sitzt Holger im Auto, hinten schläft Murad friedlich weiter. Der hat wirklich die Ruhe weg.
Alle fünf Minuten probiert Holger es auf Rolands Handy. Vergebens. Nach einer halben Stunde kommt ein hagerer Mann mit Kapuzenpulli und Bundeswehr-Parka auf den Golf zu. Holger springt aus dem Auto. »Bist du Roland?« Der Typ nickt. »Wo bleibt ihr denn?«, antwortet er. »Ich warte seit sieben Uhr auf euch, jetzt ist es Viertel vor zehn!« Holger nickt. Er entschuldigt sich, erzählt vom Unfall und dem Stau.«Warum gehst du denn nicht ans Handy?«.
»Ja, so ein Scheiß. Mein Akku ist leer«, sagt er. Dumm nur, dass er sich Holgers Nummer nicht aufgeschrieben, sondern nur im Handy gespeichert hatte. Sonst hätte er nämlich den Tankwart bitten können, kurz bei Holger anzurufen. Aber das Telefon konnte er nicht mal mehr einschalten. »Mir war so saukalt, deshalb bin ich zur Tankstelle. Alle halbe Stunde bin ich hierher zurück, um nachzuschauen, ob ihr schon da seid.«
Holger reicht Roland die Tasche. »Sorry, ist echt saublöd gelaufen.« Dankend nimmt der sie. Jetzt kann er endlich andere Sachen anziehen, seine Klamotten trägt er nämlich schon seit zwei Tagen. Er reicht Holger einen 10-Euro-Schein. »Kannst du ja nichts für. Danke für die Tasche.«
Holger steigt zurück ins Auto und fährt Richtung Autobahn. Was für ein Scheißtag. Erst der fette Stau, dann der Ärger mit Rolands Handy. Für heute reicht’s. Zum Glück ist er bald zu Hause. Eine halbe Stunde später fährt Holger in Achern von der Autobahn ab. Endlich wacht Murad auf. Na also, denkt sich Holger. Dann kann er ihn gleich fragen, wo er hin muss. Murad reibt sich die Augen. »Machen wir eine Pause?«, fragt er in einem Englisch, das genauso arabisch gefärbt ist wie das Deutsch seines Kumpels. »Nein, wir sind schon in Achern.« Holgers Englisch wiederum hört man die badische Herkunft an. »Oh, das ist ja super. Ich dachte, wir kommen erst viel später an.« Komisch. Wir standen zwei Stunden im Stau und haben dann noch eine halbe Stunde auf Roland gewartet, rekapituliert Holger. Was denkt Murad denn, wie lange wir von München nach Achern brauchen? Na ja, er wird neu in Deutschland sein und die Entfernungen noch nicht so gut abschätzen können …
»Wo kann ich dich hinbringen?« Es ist kurz vor elf Uhr nachts, in Achern fährt seit Stunden kein Bus mehr. Das weiß Holger, deshalb will er Murad dort abliefern, wo der hin muss. »Zum Hauptbahnhof.« Verwundert schaut Holger in den Rückspiegel zu Murad. Also einen Hauptbahnhof hat das Kaff hier nicht. Er wird wohl den Bahnhof meinen, also bringt Holger ihn dorthin. Murad nimmt seinen Rucksack. »Kannst du mir sagen, wo der Ausgang ist, der in Richtung Dom führt? Da wartet mein Freund auf mich.«
Ein Dom? In Achern? Hier gibt’s eine ganz normale Kirche und eine Kapelle, das Klauskirchl, aber sicher keinen Dom. Langsam beschleicht Holger ein komisches Gefühl. Irgendwas stimmt hier nicht. »Wir haben in Achern keinen Dom.« Murad schaut ihn mit großen Augen an. »Doch, schau her.« Er zieht einen Stadtplan raus und zeigt auf eine Stelle. Holger schaut sich die Karte an und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Murad hat einen Stadtplan von Aachen in der Hand!
Ach du Schande! Murad wollte die ganze Zeit nach Aachen, nicht nach Achern. Zwei beschissene Buchstaben – das ist der einzige Unterschied. Und 400 Kilometer. Wie konnte denn das alles passieren? Murads Freund muss die Städte verwechselt haben. Wahrscheinlich ist er in der Suchmaske der Mitfahrgelegenheit zwei Zeilen
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