Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
verrutscht. Aachen steht dort an erster Stelle, Achern auf Platz drei. Dazwischen liegt nur Aalen. Oder er wusste nicht, dass man Aachen mit doppeltem »a« schreibt.
Jetzt steht Murad um 11 Uhr nachts in einem badischen Kaff und kann kein Deutsch, nur Englisch mit stark arabischem Akzent. Wie soll der denn heute Nacht noch nach Aachen kommen? Er kann froh sein, wenn er überhaupt noch aus Achern wegkommt. Holger hat Mühe, Murad zu erklären, dass er am falschen Ort ist. Holger überlegt, ob er Murad zu sich nehmen soll, doch im selben Moment drückt Murad Holger die 18 Euro in die Hand und verabschiedet sich.
»Nimm doch den letzten Zug nach Karlsruhe, der geht um fünf nach halb zwölf«, ruft Holger ihm hinterher. Vielleicht kommt Murad von dort noch weiter. Er dankt Holger und trottet dann um das geschlossene Bahnhofsgebäude auf den Bahnsteig. Holger sieht ihm nach und schüttelt den Kopf: Was zwei kleine Buchstaben so alles anrichten können …
Zusammen wiegen Carola und Nike nicht mehr als zwei Kilogramm. Trotzdem sorgt sich Johannes um das Wohl der beiden Meerschweinchen-Damen, als hätte er ein neugeborenes Kind an Bord. Die Kiste aus Karton, in der die beiden bunt gescheckten Tierchen auf jeder Menge Stroh hocken, fixiert er mit zwei Gurten an der Rückbank. Zunächst schlingt er den rechten Dreipunktgurt um die Kiste, danach sichert er sie noch mit dem Beckengurt des Mittelsitzes. Jede halbe Stunde hält er an einem Rastplatz und schaut nach, ob Carola und Nike auch wirklich noch leben. Natürlich quieken die beiden jedes Mal wie eh und je. Nur 250 Kilometer oder zweieinhalb Stunden sind es von Essen nach Hannover, trotzdem hält Johannes vier Mal an. Wegen Carola und Nike.
Den beiden Tierchen darf bloß nichts passieren. Das ist das Erste, was Cornelia von Johannes hört – kaum, dass sie am Hauptbahnhof in Essen in dem grauen Ford sitzt. Je öfter ihr Fahrer stoppt, desto genervter ist sie. Klar sind das besondere Meerschweinchen, auf Züchterschauen haben sie sogar schon einige Preise gewonnen. Logisch, dass Johannes vorsichtig ist. Aber verdammt, die Viecher sind bombensicher in dem Karton. Was soll denn passieren? Problemlos könnte Cornelia doch vom Beifahrersitz in die Kiste schauen. Aber das reicht Johannes nicht. Er will sich jedes Mal selbst davon überzeugen, dass es den Tierchen gut geht. Er soll sie nämlich von einer Züchterin zur nächsten bringen. Das hat er mit der Frau vereinbart, die ihm 20 Euro für den Haustiertransport geboten hat. Die Kohle hat sie ihm schon in die Hand gedrückt, als er sie abholte.
Was ist das denn für ein Typ? Cornelia schüttelt den Kopf. Weshalb macht er so viel Aufhebens? Du lieber Gott. Zum Glück ist es bis Hannover nicht weit, dann ist sie den Typen bald los. Ohnehin ist der ein bisschen seltsam. Cornelia schätzt ihn auf Ende 30, er hat richtige Geheimratsecken, über den Ohren werden die Haare schon ein bisschen grau. Aber trotzdem wirkt er wie ein Kind. Gerade seine laute, schrille Lache ist alles andere als erwachsen. Und dann noch diese geradezu kindliche Sorge um die Viecher.
Da hilft nur eines: schlafen. Dann vergeht die Zeit wie im Flug. Also dreht Cornelia ihren Kopf zur Seite und schließt die Augen. »Kann ich dich mal was fragen?« ›Mann, ich will pennen‹, denkt sich Cornelia. Doch sie will nicht unhöflich sein, schließlich nimmt Johannes sie mit. »Ja, klar.« Hoffentlich nervt er sie jetzt nicht. »Es ist so …«, druckst der Fahrer. »Ich bin schon lange … auf der Suche nach einem Mädchen … und … ich weiß nicht … warum das … nie hinhaut …« Cornelia schaut ihn von oben bis unten an. Das wundert sie nun überhaupt nicht. Ist doch klar. Er ist pedantisch, unbeholfen und wirkt trotz seines Alters wie ein Kind. So jemand will keine Frau. Aber das sagt sie Johannes natürlich so nicht, sie will ihn ja nicht kränken.
»Du hast einfach noch nicht die Richtige getroffen.« ›Oh Mann, hat sie das wirklich gerade gesagt?‹ Cornelia kann nicht fassen, was für eine Binsenweisheit sie da grade von sich gegeben hat. Ihr Freund würde sagen, sie müsste sofort drei Euro ins Phrasenschwein zahlen – wie beim Fußball-Stammtisch im Fernsehen. »Meinst du wirklich, da draußen wartet jemand auf mich?« Wahnsinn, Johannes hat ihre Antwort echt gefressen. Das gibt’s doch nicht, der rafft gar nicht, dass sie auf so eine Art von Unterhaltung überhaupt keinen Bock hat. »Ja, sicher. Du musst nur Geduld haben.«
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