Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
Magazins durchgeblättert haben. Er lächelt Valerie an und greift hinter sich auf die Rückbank, wo die aktuelle Ausgabe liegt. Er reicht es Valerie. »Hier, schau mal auf Seite 20. Ich bin Textredakteur und habe ein Porträt der Extremkletterer Alexander und Thomas Huber geschrieben.« Zögerlich nimmt Valerie das Heft mit einer nackten Brünetten auf dem Titel und fängt an zu blättern. Tatsächlich, nicht nur nackte Frauen in lasziven Posen, sondern richtige Texte. Auf Seite 20 bleibt sie hängen. Sie liest Daniels Namen und überfliegt den Text über die »Huababuam«. Okay, mit richtigen Artikeln zwischen den ganzen Nackedeis hatte sie nicht gerechnet.
Von da an ist das Eis gebrochen. Das Anfangsgeplänkel mit Fragen nach dem jeweiligen Beruf ist zu Ende, die beiden quatschen einfach drauflos. Daniel erzählt von seinem Urlaub in der Karibik, von dem er gerade zurückgekehrt ist. Dann kommt er auf die Trennung von seiner Ex-Freundin. Vor ein paar Monaten hat sie ihn nach fünf Jahren verlassen, Daniel hat immer noch damit zu kämpfen. »Es tut schon noch weh«, sagt er. »Gerade weil ich Katharinas Gründe gut verstehen kann.«
Ganz offen redet er über seine Fehler. In der Beziehung hat meistens er bestimmt, was die beiden machen: Ob Mountainbiken in den Dolomiten, Surfen in Südfrankreich oder Tauchen im Roten Meer – immer hat er sich durchgesetzt, wohin der gemeinsame Urlaub führen sollte. Katharina wollte lieber übers Forum in Rom schlendern oder ein paar Tage am Genfer See entspannen. Zu Hause in Frankfurt traf er sich mit Freunden in der Kneipe, während sie viel lieber gemeinsam gekocht hätte. »Ich dachte, dass sie genau das Gleiche will wie ich«, sagt Daniel und schüttelt den Kopf. »Ich habe sie nie wirklich gefragt, was sie möchte.« Es ist still im Auto, nur den Motor hört man brummen.
Wie sehr er sie bevormundet hat, ist ihm erst seit der Trennung klar geworden. Dabei wünscht er sich eigentlich eine Beziehung, in der beide Partner gleichberechtigt ihre Wünsche verwirklichen können. Aufmerksam hört Valerie zu. Es stört sie nicht im Geringsten, dass ihr hier Daniel gerade sein komplettes Herz ausschüttet. Im Gegenteil, sie fühlt sich geschmeichelt. Mehr noch. Dass er so offen über seine eigenen Fehler spricht, imponiert ihr. Kein schlechtes Wort über seine Ex kommt ihm über die Lippen. Er sucht die Schuld bei sich selbst. Valerie ist beeindruckt: Der sieht nicht nur gut aus und ist nett, er ist auch selbstkritisch.
Draußen wird es langsam dunkel, der Kombi passiert die Lüneburger Heide. Dann bremst Daniel und fährt langsam auf einen Parkplatz. Eine Pinkelpause, denkt Valerie. Doch anstatt auszusteigen, beugt sich Daniel plötzlich zu Valerie rüber, drückt sie an sich und fängt an, sie leidenschaftlich zu küssen. Valerie ist vollkommen perplex. Vor lauter Schreck lässt sie den Kuss geschehen. ›Gerade erzählt er mir von seiner Ex, und jetzt küsst er mich!‹ Aber dann wird ihr die ganze Situation bewusst, und sie erschrickt: Es ist Nacht, sie ist allein in einem Auto mit einem Typen, den sie nicht kennt. Der Kerl kann alles mit ihr machen. Ihr Kopf schwirrt, während sie Daniels Kuss mechanisch erwidert.
Aber dann ist sie doch entrüstet – wie dreist ist der Typ eigentlich? Sie reißt sich los und drückt ihn weg. »Können wir jetzt nach Hamburg weiterfahren?«, sagt sie sauer. »Ich will dir nichts unterstellen, aber es ist Nacht, und du überfällst mich einfach so. Das ist mir zu krass.« Schweigend lässt Daniel den Motor an und fährt auf die Autobahn zurück. Nach einer Weile räuspert er sich und sagt: »Tut mir leid, mich hat es einfach überkommen.« Mehr nicht. Den Rest der Fahrt schweigen sich die beiden an.
Am Hauptbahnhof reicht Daniel ihr ihre Reisetasche. »Hör mal«, sagt er, »ich könnte verstehen, wenn du mir absagst. Aber ich würde mich total freuen, wenn du Sonntag wieder mit mir zurückfahren würdest.« Daran hatte sie auch schon gedacht. Eigentlich hatte sie ihm schon für die Rückfahrt zugesagt. Sie zögert kurz und sagt dann: »Einverstanden.« Wirkliche Angst vor ihm hat sie nicht. Außerdem findet sie ihn trotz allem immer noch attraktiv. Wer weiß … sie ist ja schließlich Single. Und er scheint kapiert zu haben, dass er zu weit gegangen ist.
Bei der Rückfahrt haben die beiden noch einen anderen Mitfahrer und können nicht offen reden. Stattdessen tauschen sie zu dritt Belanglosigkeiten aus. »Kann ich dich mal
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