Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
umsonst. Das ist der Deal, den die Asiatin mit dem blonden Studenten namens Christoph geschlossen hat, als sie ihm die Autoschlüssel in die Hand drückte.
Die Ruhe im VW-Bus ist dahin. Alle Insassen begreifen, dass sie Teil eines abgekarteten Spiels geworden sind. Klaus, der wahrscheinlich noch nicht mal so heißt, und die Asiatin waren von vorneherein nur auf das Geld der Mitfahrer scharf. Dummerweise haben die ahnungslosen Mitfahrer ihnen das sofort in den Rachen geworfen. Solche Gauner, schimpfen die Mitfahrer. Die haben das Prinzip der Solidargemeinschaft, zu der sich Menschen bei einer Mitfahrgelegenheit zusammentun, um gemeinsam billiger zu fahren, übel missbraucht. Sie haben den Ehrenkodex verletzt, um sich selbst zu bereichern.
Das schreit nach Rache. »Wir geben den Bus einfach nicht mehr zurück«, sagt ein Mitfahrer. Die anderen nicken. Doch dann kommen ihnen Zweifel. Denn das Auto ist so alt, dass es kaum mehr die Anstiege des Schwarzwalds hochkommt. Vielleicht ist der Wagen total kaputt – und Klaus und die Asiatin wissen das ganz genau. Denen ist es natürlich scheißegal, ob die Mitfahrer auf der Strecke liegenbleiben. Hauptsache, sie haben das Geld abgezockt. Aus dem Ärger im Bus wird Wut. Ein Mitfahrer schlägt vor, sofort zur Polizei zu fahren und die beiden Gauner anzuzeigen. Ein paar andere stimmen zu, doch Christoph am Steuer hat Bedenken. »Dann können wir heute nicht weiterfahren, sitzen im Schwarzwald fest und kommen so schnell nicht mehr weg.« Sie müssten sich eine Pension oder einen Mietwagen nehmen. Beides ist ihnen zu teuer. Sie sind arme Studenten …
Sie beschließen, bei einer Rauchpause in Ruhe nachzudenken, was sie tun wollen. Bettina will sich die Beine vertreten, während sie raucht. Also schlendert sie um den Wagen herum. Zufällig fällt ihr Blick auf das Nummernschild. Sie schreckt zurück: Die TÜV-Plakette ist abgelaufen – schon seit zwei Jahren. Seitdem dürfte der Wagen nicht mehr auf deutschen Straßen fahren. Doch Bettina und die anderen Mitfahrer sitzen drin und haben noch gut 100 Kilometer bis Lindau vor sich! Auf Christoph wartet bis München sogar die doppelte Strecke. Und das alles in einem illegalen Auto.
Als Bettina den anderen von ihrer Entdeckung erzählt, sind die Mitfahrer entsetzt. Klaus und die Asiatin haben sie mit voller Absicht in Freiburg in ein Auto gesetzt, das schon längst nicht mehr fahren darf. So eine bodenlose Frechheit. Wenn die Polizei sie aufhält, sind sie dran, zumal Christoph keinen Fahrzeugschein für das Auto bekommen hat. Sie könnten das Auto genauso gut geklaut haben. Wer würde ihnen denn die Wahrheit glauben …
Alle haben jetzt Angst, den Wagen zur Polizei zu bringen. Zumindest wegen Fahrens eines illegalen Wagens haben sie sich strafbar gemacht. Hinzu kommt, dass einige Mitfahrer ganz gerne mal einen Joint rauchen. Also besser keine Polizei. Nicht, dass die Beamten dann noch anfangen, sie nach Gras zu durchsuchen …
Und dann sind da noch Klaus und die Asiatin. Für die Mitfahrer ist klar, dass die beiden Gauner sind. Oder Schmuggler. Wild spekulieren sie, ob nicht in die Sitze Heroin eingenäht ist oder im Motorblock Zigaretten versteckt sind. Vielleicht betreibt Klaus ja auch einen Frauenharem mit thailändischen Zwangsprostituierten und die Asiatin ist eine davon. Was, wenn Klaus wirklich ein Verbrecher ist und sie den Wagen nicht abliefern, sondern zur Polizei gehen? Lauert er ihnen irgendwann auf? Schließlich hat er all ihre Handynummern, weil er sie vor Fahrtantritt sicherheitshalber haben wollte.
Die Besatzung des VW-Busses beschließt, einfach weiterzufahren. Feige ist es schon, aber es macht am wenigsten Stress. Zumindest bekommen sie es dann weder mit der Polizei noch mit den Ganoven zu tun. Wie geplant soll Christoph alle Mitfahrer erst in Lindau und München abliefern und den Wagen dann am Hauptbahnhof in München abgeben. Und das war’s dann …
Kaum ist Bettina bei ihren Eltern in Lindau, bucht sie sich im Internet sofort ein Zugticket für die Rückreise am Sonntag. Eigentlich hatte sie Klaus für die Fahrt schon zugesagt, aber nach der Nummer heute kann er das vergessen. Das ganze Wochenende geht ihr die seltsame Fahrt nicht mehr aus dem Sinn. Bettina ist immer noch richtig sauer auf Klaus und die Asiatin. Sie beschließt, ihn wenigstens bei der Mitfahrzentrale anzuschwärzen. Vielleicht können die dann was gegen ihn unternehmen.
In einer E-Mail erzählt sie den Betreibern, was passiert
Weitere Kostenlose Bücher