Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
ist. Außerdem gibt sie ihnen Klaus’ E-Mail-Adresse und das Kennzeichen. Eine Handynummer hatte er im Inserat nicht angegeben. ›Nicht blöd, der Scheißkerl‹, denkt Bettina. Denn wenn die Betreiber der Mitfahrzentrale die Nummer bei der Polizei melden würden, könnten sie schnell an seinen richtigen Namen kommen. Aber wahrscheinlich ist er so clever und hat eine Prepaid-Karte, der Verbrecher.
Einen Tag später antwortet ihr die Mitfahrzentrale. Sie bedauert sehr, was Bettina auf der Fahrt erlebt hat. Das Freiburger Kennzeichen war den Betreibern schon bekannt, allerdings hat »Klaus« immer einen anderen Vornamen benutzt. Jetzt hat Bettina den Beweis: sie waren nicht die Ersten. Und werden nicht die Letzten sein. »Klaus« hat die Sache schon mehrmals erfolgreich durchgezogen, und wird es wieder tun. Nach Bettinas Mail setzt die Mitfahrzentrale »Klaus« sofort mit seinem Kennzeichen auf die schwarze Liste. Jeder User kann die auf der Homepage einsehen. Dort wird vor Rasern, aber auch vor Betrügern wie »Klaus« gewarnt.
Bettina schüttelt den Kopf, weil sie weiß: Nur wenige Leute werden sich die schwarze Liste durchlesen, bevor sie Klaus – oder wie auch immer er sich nennen wird – zusagen. Dann werden sie exakt das Gleiche erleben wie Bettina. Solche Betrüger, die die Mitfahrgelegenheit für ihren eigenen Profit missbrauchen, wird es leider immer geben.
Normalerweise fährt nie jemand von Kehl nach München. Und dann will dieser Jens auch nur 15 Euro für die Fahrt. Das alles hätte Stefan schon stutzig machen müssen. Doch das Angebot ist zu verlockend: Eine Mitfahrgelegenheit direkt ab Kehl, ohne erst vorher umständlich mit dem Zug in eine größere Stadt wie Offenburg, Baden-Baden oder Karlsruhe fahren zu müssen. Zumal dieser Jens womöglich auch noch mit einem Oberklasse-Wagen mit viel Beinfreiheit kommt. So zumindest klingt seine SMS: »Vielleicht komme ich sogar mit dem großen Wagen.«
Zwei Tage später wartet Stefan auf dem Parkplatz vor dem Kehler Bahnhof. Neben ihm steht das stark heruntergekommene Hotel Astoria. ›Das ist aber ein schlechter Witz‹, denkt sich Stefan, als ihm die gleichnamige Luxushotelkette mit dem Zusatz »Waldorf« einfällt. Es ist fünf nach zehn Uhr vormittags. Schön langsam könnte Jens kommen mit seinem 7er BMW, Audi A6 oder seiner Mercedes S-Klasse. Stattdessen biegt um zehn nach zehn ein großer LKW auf den Parkplatz und steuert direkt auf Stefan zu. Der Fahrer betätigt die Lichthupe und winkt: Jens. Der große Wagen ist überhaupt kein Audi oder BMW oder Mercedes, sondern ein 7,5-Tonner. Pech gehabt.
Jens klettert aus dem Führerhaus, gibt Stefan die Hand und führt ihn um den LKW. Mit zwei Handgriffen öffnet er die beiden Portaltüren zum Laderaum und deutet auf ein Trittbrett. Stefan hat verstanden. Er nimmt seine Sporttasche und den Laptop und steigt in den Laderaum, wo er sein Gepäck neben zwei Paletten mit verpackten Kartons stellt. Hier sollen seine Sachen sicher verstaut sein? Ganz ohne Sicherung in einem Laderaum von fünf Metern Länge? »Keine Angst, ich versuche, keine Vollbremsung zu machen«, brüllt Jens von hinten.
Der Mitfahrer springt vom Laderaum auf den Parkplatz und schaut seinem Gepäck wehmütig hinterher. Aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, er wird sich auf Jens’ Fahrkünste verlassen müssen. Andere Mitfahrer tun das auch, obwohl sie nicht bei einem Lastwagenfahrer zusteigen, der auch mitten im Winter schwarze Adiletten trägt, weil er die zum Fahren viel bequemer findet.
Immerhin, Jens hat kein umgedrehtes Nummernschild mit seinem Vornamen hinter die Windschutzscheibe. Auch aus der Schlafkoje hinter dem Fahrersitz lugen keine Poster mit nackten Playmates hervor. So ein richtig klischeehafter Brummifahrer scheint er dann noch nicht zu sein. Eher wirkt der schlanke Enddreißiger mit dem Klodeckelbart wie ein Exot in seiner Zunft: Er sächselt, wohnt im bayerischen Freilassing und fährt für eine österreichische Spedition mindestens dreimal die Woche die Strecke Salzburg – Straßburg – Salzburg. Sein Waschbeutel und die Plastikhülle seines iPhones verraten, dass er glühender Fan von 1860 München ist.
Jens lässt den Motor seines Lastwagens an und biegt gemütlich auf die Landstraße in Richtung Autobahn ab. Er fährt 80 km/h, schneller darf er mit seinem 7,5-Tonner nicht. Das kann ja heiter werden, denkt sich Stefan. Normalerweise braucht man für die Strecke Kehl – München dreieinhalb Stunden. »Ich
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