Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
hoffe, wir kommen in keinen Stau«, sagt Jens. »Sonst müssen wir noch vor München anhalten und 45 Minuten Pause machen. Mit dem LKW darf ich nämlich nur viereinhalb Stunden am Stück fahren.« Brummifahrer müssen die Ruhezeiten einhalten, sonst verlieren sie ihren Job. Deshalb kontrollieren Polizisten immer sofort den Fahrtenschreiber.
Auch das noch. München scheint Stefan so weiter weg wie nie, zumal Jens die Autobahn bereits nach zehn Minuten wieder verlässt und ein Einkaufscenter neben der Ausfahrt Bühl ansteuert. »Hier gibt’s die besten Leberkäs-Semmeln zwischen Straßburg und Salzburg«, sagt Jens. Er muss es ja wissen. Schließlich fährt er diese Strecke dreimal die Woche. »Kann ich dir eine mitbringen?« Stefan schüttelt mit dem Kopf. Er hat gerade gefrühstückt. Zurück am Steuer erzählt Jens, wie sehr er sich immer auf die Leberkäse-Semmeln in Bühl freut. Denn in fast jeder Raststätte auf der Strecke hat er sonst nur die Auswahl zwischen Big Mac und Whopper.
Dann dreht Jens am Radio, bis er die Frequenz von SWR 1 findet. Dort ist jeden Vormittag unter der Woche für zwei Stunden jemand aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft zwei Stunden lang zu Gast – ob ein ehemaliger Börsenspekulant zu Zeiten der Pleite der Lehman Brothers, ein Jäger von Plagiaten in wissenschaftlichen Doktorarbeiten oder ein ehemaliger Leibwächter von Prominenten. Heute ist es ein Professor für Finanzwirtschaft, der über den Sinn eines Rettungspakets für Griechenland spricht. Jedes Mal, wenn nach einem Musikstück die Diskussion weitergeht, dreht Jens das Radio auf. Folgt das nächste Lied, macht er das Radio leise und fängt seinerseits an, mit Stefan zu diskutieren.
›Was ist denn das für ein Lastwagenfahrer?‹, denkt Stefan. Er war davon ausgegangen, dass die alle nur die nackten Mädchen auf dem Cover der Bild-Zeitung anschauen. Doch Jens hat von Politik viel Ahnung. Nicht nur vormittags informiert er sich im SWR. Sobald sie am frühen Nachmittag die Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern passiert haben, schaltet Jens sofort auf Bayern 5, einen reinen Nachrichtensender. Diesen Sender hört er dann auch die restlichen zwei Stunden bis München, obwohl sich die Nachrichten alle 15 Minuten wiederholen. Der Typ ist echt anders – und richtig cool. Stefan macht es Spaß, mit Jens zu diskutieren.
Auf der Höhe von Stuttgart überholt ihn plötzlich ein Polizeiwagen mit blinkendem Blaulicht und schert vor ihm auf die rechte Fahrspur ein. »Bitte folgen Sie dem Wagen«, lesen Jens und Stefan auf der Leuchtschrift auf dem Wagen. Das Polizeiauto biegt in einen Rasthof ab, der LKW folgt ihm auf den Parkplatz.
»Können wir mal Ihren Ausweis, den Führerschein und die Ladepapiere sehen?«, sagt der Polizeibeamte mittleren Alters ernst, als Jens die Fensterscheibe an der Fahrertür runterkurbelt. »Sie wissen schon, dass Sie nicht so einfach mit einem Riss in der Windschutzscheibe rumfahren können?«, schiebt der Polizist in seinem breiten Schwäbisch hinterher. Der Beamte hat recht. Auf der Hinfahrt nach Straßburg ist Jens ein Stein eines Kieslastwagens auf die Windschutzscheibe geknallt. Der Riss wuchs dann langsam auf zehn Zentimeter an. Bei seiner Spedition in Salzburg wollte er die Scheibe austauschen lassen.
Den Riss hatten die Polizeibeamten offenbar gesehen, als sie von einem Parkplatz aus den Verkehr mit einem Fernglas beobachteten und sofort beschlossen, den LKW anzuhalten und den Fahrer zu kontrollieren. »Zeigen Sie mir mal bitte den Fahrtenschreiber«, befiehlt der Beamte. Jens dreht einen Schlüssel am Armaturenbrett, der Fahrtenschreiber klappt nach außen auf, und Jens reicht die Pappscheibe dem Beamten. »Hier«, sagt Jens. Der Polizist mustert die schwarzen Zacken, die Jens’ Geschwindigkeit anzeigen. Nicht schneller als 80, das passt. Dann überprüft er, ob Jens länger als viereinhalb Stunden gefahren ist. »Okay, das ist auch in Ordnung«, sagt der Beamte. In der Tat sind Jens und Stefan seit Kehl nicht mehr als zwei Stunden am Stück gefahren.
»Und was machen Sie hier?«, fragt der Beamte Stefan. »Ich bin der Mitfahrer«, entgegnet der. »Aha. Überprüf mal seinen Ausweis«, befiehlt der Beamte seiner hübschen Kollegin mit dem braunen Pferdeschwanz. Stefan zieht seinen Personalausweis und gibt ihn der jungen Frau. Die lächelt den Mitfahrer an und geht mit dem Ausweis zum Polizeiauto. Good cop, bad cop – gibt’s also nicht nur im Film.
Der ältere Beamte wendet
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