Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
heißt es nicht schon in der Bibel: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst? Na also. Sie will sich ihm als naives, schüchternes Mäuschen präsentieren. Wie die Unschuld vom Land möchte sie ihn Stück für Stück dazu bringen, ihren ganzen Krempel mitzunehmen.
Morgens um neun steht Doro vor der Haustür ihrer Eltern. Die Umzugskisten hat sie noch im Hausflur gelassen. Jörg soll nicht gleich einen Herzinfarkt kriegen, wenn er ihr ganzes Zeug sieht. Pünktlich auf die Minute kommt er an. Doch als Doro sein Auto sieht, erschrickt sie. Ein alter, kleiner Ford Fiesta.
Doro schluckt, dann atmet sie tief durch. Egal, irgendwie wird es schon funktionieren. Es muss einfach. Sie setzt ihr schönstes Lächeln auf, blinzelt Jörg immer wieder an, um dann wieder schüchtern auf den Boden zu sehen. »Du …«, fängt sie an. »Ich hab da … ein bisschen … mehr Gepäck.« Mehr Gepäck ist stark untertrieben, sie will Jörg einen Umzug andrehen. »Kein Problem. Wir sind ja nur zu zweit.«
Puh! Der erste Schritt ist geschafft. Doch jetzt muss Doro Jörg irgendwie klarmachen, dass sie kein normales Gepäck hat, sondern mehrere Umzugskisten mitnehmen will. »Es ist so … meine Mutter … die will meine Bücher … wegwerfen … wenn ich sie nicht mitnehme …« Verschämt schaut Doro ihren Fahrer an. Der nickt nur. »Bücher sind wichtig. Wo sind sie denn? Ich helfe dir beim Tragen.«
Doro grinst, das läuft ja wie am Schnürchen. Jetzt darf Jörg nur nicht erschrecken, wenn er die vier Kisten und den Schreibtischstuhl im Flur sieht. Doro öffnet die Haustür, sieht Jörg ängstlich an – doch der reagiert gar nicht. Mechanisch trägt er nacheinander alle Kisten zum Auto. Irgendwie schafft er es, zwei im Kofferraum zu verstauen und zwei auf die Rückbank zu packen. Dann schraubt er den Schreibtischstuhl auseinander und quetscht die Einzelteile dazwischen.
Mittlerweile hat Doro ihre beiden Kätzchen auf dem Arm und streichelt sie. Sie hofft, dass Jörg bei dem Anblick weich wird und sie auch noch einpackt. »Ähem … die müssten auch noch mit … irgendjemand hat sie ausgesetzt«, sagt sie und blinzelt ihn an. »Das ist ja eine richtige Gemeinheit, die armen Kätzchen«, entgegnet der Priester in spe. »Ach ja … dann hätte ich da noch das Körbchen … und das Katzenklo.« Doro lächelt ihn ängstlich an. Ohne mit der Wimper zu zucken, verfrachtet er die letzten beiden Gepäckstücke auf die Umzugskisten im Kofferraum. Unglaublich. Der Typ lässt wirklich alles mit sich machen. Der nimmt das Gebot Nächstenliebe aber verdammt ernst.
Langsam geht Doro mit den Kätzchen zum Beifahrersitz. Der Fiesta ist rappelvoll. Mann, jetzt ist ihr die ganze Sache doch richtig peinlich. Eigentlich hat sie ja nur eine Mitfahrt für sich gebucht, aber in Wirklichkeit macht Jörg ihren ganzen Umzug. Unterwegs weiß sie nicht, was sie mit ihm reden soll, und traut sich auch nicht, ihn anzuquatschen, weil es ihr verdammt unangenehm ist, dass sie ihn so ausnutzt. Jörg scheint selbst sehr schüchtern zu sein. Er wirkt ganz nett, ist halt kreuzbrav.
Doro streichelt ihre beiden Kätzchen. Zwei Monate sind die beiden Wollknäuel alt, der eine, Tommi, ist schwarz-weiß, die andere, Mimi, hellgrau getigert. Die beiden schmiegen sich aneinander. »Die sind aber putzig«, sagt Jörg. Putzig. Wie lange hat Doro dieses Wort nicht mehr gehört? Grundschule? Egal, Hauptsache Jörg sagt was. Dann fängt Jörg an, von seinem Beruf zu reden. Er schwärmt geradezu vom lieben Gott und betont, wie viel er ihm bedeute. Das kann Doro nicht wirklich nachvollziehen, aber meine Güte, wenn es Jörg glücklich macht … Dann erzählt er ihr, dass ihm die Seelsorge so viel Freude bereite. Dass ein junger Mensch Mitte 20 das Wort »Seelsorge« in den Mund nimmt, findet Doro lustig. Der Letzte, von dem sie es gehört hat, war Pfarrer Stinz im Religionsunterricht. In der fünften Klasse …
Anderen Menschen zu helfen, das mache ihm so richtig Spaß, fährt Jörg fort. Doro nickt heftig. Genau das erlebt sie gerade in Echtzeit. Kein Wunder, dass Jörg vollkommen klaglos ihren Umzug macht. Das sieht der nicht nur als seine Pflicht als guter Christenmensch an, sondern der findet das auch noch toll. Unfassbar, und ziemlich praktisch …
Dann beschreibt Jörg das Priesterseminar. Er erzählt, wie sehr ihn das Leben mit Gott erfülle. Und wie schön die Gemeinschaft mit den anderen Brüdern sei. Doro schüttelt den Kopf. Sofort muss sie an
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