Testobjekt Roter Adler
dieses Europäers stimmte nichts! Sämtliche Proportionen schienen durch eine Laune der Natur verschoben worden zu sein.
»Bin ich nicht bildschön?« fragte der Kleine leise. Er war bedrückt. Ich verstand ihn gut. In einer solchen Maske verlor sogar ein humorvoller Mensch wie Hannibal die Lust am Lachen. Nach seiner Verwandlung hatte er noch kein einziges Mal gegrinst. Er verzichtete auf ein für ihn typisches Charakteristikum, weil er im Spiegel erkannt hatte, daß sein normalerweise zur Heiterkeit anregendes Bubenfeixen mit den Lippen eines Arturo Peroni zu furchteinflößend wirkte.
»Wir werden es überstehen«, entgegnete er, nach wie vor bedrückt. »Großer – ich habe mich nie im Leben so jämmerlich gefühlt. Als ich mich nach der Bio-Umwandlung erstmals im Spiegel betrachtete, verstand ich, warum Peroni geistig geschädigt ist. Ein solches Ungeheuer kann nur pervers sein. Oder irre ich mich?«
»Bestimmt sogar«, warnte ich. »Junge, du weißt doch selbst genau, daß man einen Menschen niemals nach seiner äußeren Erscheinung beurteilen darf. Auch die Hypnos haben wir toleriert. Du mußt versuchen, mit dem Schock fertigzuwerden.«
»Schock ist gut«, sagte er mit seiner »neuen«, röhrend klingenden Baßstimme. »Kannst du dir vorstellen, daß ich beim ersten Anblick meiner Erscheinung abnormen Gewalttaten plötzlich gar nicht mehr so ablehnend gegenüberstand? Das ist doch fürchterlich! Kann sich das auf die Psyche eines normalen Menschen auswirken? Ich … ach was, zum Donnerwetter, ich werde wohl einige Wochen lang mit dieser Maskerade zurechtkommen. Vergiß es.«
Er winkte heftig ab und scheute sich plötzlich nicht mehr, sein altvertrautes Grinsen zu zeigen. Als ich wegschaute, begann er zu lachen.
»Großer Mars, ich muß aussehen wie der letzte Froschkönig im Raumanzug. Okay, Langer, du hast gewonnen.«
»Du hast gewonnen«, betonte ich aufatmend. »Sehen wir darüber hinweg. Es wird Zeit. Wenn wir unsere ›Flucht‹ noch länger hinausschieben, verkauft die AFC zehn Millionen Konserven mehr.«
Wir wurden von der Zentrale aus angerufen. Die letzte Einsatzbesprechung war auf zweiundzwanzig Uhr des 9. Juni 2010 festgesetzt.
Ein Wagen brachte uns zu den neuen Bunkerbauten nahe den Inselbergen. Es war eine schmale, dünngratige Felskette, die im Mittelpunkt von einem erloschenen Vulkan gekrönt wurde.
Reling, die anderen Abwehrschefs, etwa dreißig Wissenschaftler und die Mutantin Kiny waren bereits eingetroffen. Als wir eintraten, ernteten wir prüfende Blicke.
Hannibal gefiel sich plötzlich darin, eine lauernde Haltung einzunehmen und die Anwesenden anzufeixen. Sein Verhalten bewies mir, daß sich der Kleine endgültig gefangen hatte.
Reling räusperte sich unangenehm berührt. Fo-Tieng schüttelte fassungslos den Kopf. Das wollte für den hochgewachsenen Südchinesen etwas heißen.
Gorsskij stieß einige russische Flüche aus und verlangte nach einem Drink. Wir machten offensichtlich Eindruck.
»Runter mit den Waffen«, vernahm ich plötzlich eine scharfe Stimme. Als ich mich umdrehte, gewahrte ich Oberst Mike Torpentouf. Er drückte die Läufe der beiden Maschinenkarabiner nach unten.
Die Schnellfeuerwaffen ruhten in den Händen von zwei speziell vereidigten Soldaten des Sicherheitsdienstes. Die beiden Sergeanten waren weitgehend informiert worden, nicht aber über unsere Maskerade. Nun hatten sie uns als freie Männer in den Raum kommen sehen. Torpentouf klärte sie auf.
»Sie wirken!« meinte Reling mit einem dünnen Lächeln, das mir nicht gefiel. Innerlich war er viel zu unruhig, um überhaupt lächeln zu können. Er dachte
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