Teufel in High Heels
schärfer unter die Lupe zu nehmen, dafür fühlte ich mich derzeit wirklich nicht gewappnet.
Eines Abends Anfang Juni beschloss ich spontan, nach Büroschluss zu Fuß heimzugehen. Auf der Madison Avenue wimmelte es nur so von New Yorkern, die ebenso wie ich das frühsommerliche Wetter genossen. Ohne einen Funken von schlechtem Gewissen erstand ich in einem Feinkostladen eine neue Packung Zigaretten und wollte mir vor dem La Goulue eben eine anstecken, als ich sie sah.
Die Blondine von dem Foto in Randalls Schreibtischschublade.
Auf der anderen Straßenseite, in einem leichten Pullover und einem hübschen Sommerrock, der ihre gebräunten Beine sehen ließ. Eine wahrhaft atemberaubende Schönheit. Als ein Taxifahrer auf die Bremse trat, um sie passieren zu lassen, winkte sie ihm - es gab kein anderes Wort dafür - liebreizend zu. Sie hatte etwas an sich, das ich unwillkürlich sympathisch fand.
Nachdem sie die Straße überquert hatte, ging sie stracks auf das La Goulue zu. Und ich hinterher - schließlich musste ich ohnehin in die Richtung. Sie stieß die Tür zu dem Restaurant auf.
Und dann sah ich Randall, hinter der Fensterfront, die wegen der sommerlichen Witterung offenstand. Er erhob sich von seinem Platz am Tisch, als sie zur Tür hereinkam. Begrüßte sie mit einem Blick, wie ich ihn noch nie eine Frau hatte anblicken sehen. Küsste sie auf die Wange, dann setzten sie sich.
Das ist Coral , hörte ich merkwürdig ruhig eine Stimme in
mir sagen und lief weiter. Eine andere Frau wäre wohl in das Restaurant gestürmt und hätte Auskunft verlangt, was hier eigentlich vorging. Eine andere Frau hätte zu Hause qualvoll Stunde um Stunde ausgeharrt, bis ihr Verlobter heimkam - und dann eine Erklärung gefordert oder ihm eine Szene gemacht.
Doch besagte andere Frau hätte auch vor ein paar Wochen nicht einen anderen Mann geküsst. Und diesen einen läppischen Kuss seither nicht wieder und wieder im Geiste durchgespielt.
Noch etwas, worüber ich nicht nachdenken wollte. Lieber schob ich es beiseite, als wäre es in Wirklichkeit nicht geschehen. Ich ging die letzten Querstraßen bis zur Wohnung, warf hin und wieder einen Blick in die Schaufenster und erkannte die abgekämpfte Frau, die mir daraus entgegenstarrte, kaum wieder.
Stunden später, im Bett, sprach ich Randall ganz ruhig auf das Abendessen an. Und ja, er räumte sofort ein, dass er mit Coral im La Goulue gewesen war. Und entschuldigte sich, weil er mir nichts davon gesagt hatte. Er hatte ihr nur persönlich von unserer Verlobung erzählen wollen - das war er ihr seinem Gefühl nach schuldig -, aber weiter war zwischen ihnen nichts. Er hatte mich nicht damit behelligen wollen, weil es nicht von Bedeutung war und ich in letzter Zeit ein bisschen angespannt wirkte.
Ich sagte, dass ich ihm glaubte. Ich musste ihm einfach glauben. Ich hatte nicht die Kraft, weiter nachzufragen, nachzubohren und der Sache auf den Grund zu gehen. Nach fast elf Monaten bei Grant Books - und sechs Wochen vor meiner Hochzeit - war ich emotional und physisch dermaßen am Ende, dass ich schlicht nicht mehr aufbegehren konnte.
Mir blieb nur, Randalls Erklärung zu akzeptieren und die Gedanken an Luke zu verscheuchen. Ich ließ den Kopf aufs Kissen sinken und fühlte mich vollkommen leer.
Neunzehntes Kapitel
Ungeheure Veränderungen in letzter Minute
»Okay, genug jetzt. Ich muss auf der Stelle los zur Kirche, sonst verpasse ich meine eigene Hochzeit«, sagte ich mit Nachdruck zu Vivian und schraubte die Kappe auf meinen Füller.
Sie starrte mich mit großen Augen an, als verblüffte sie die Mitteilung, dass ich heute heiratete. Vielleicht war sie ja tatsächlich verblüfft. Wenn man in Betracht zog, wie viel Interesse sie grundsätzlich für das Leben ihrer Mitmenschen aufbrachte, war es durchaus möglich, dass sie erst jetzt aus meinem Aufzug - langes weißes Kleid und mit unzähligen Perlen bestickter Schleier - die richtigen Schlüsse zog.
Fast fünfundvierzig Minuten, statt der vereinbarten fünf, hatte sie wie angewachsen in der Brautsuite gesessen. Mandy und Lucille umstrichen uns mittlerweile wie wilde Hunde kurz vor dem Zuschnappen. Mom saß mit einem Skizzenblock in der Ecke und zeichnete; das war ihre Methode, Ruhe zu bewahren. Bea hatte sich die Zeit mit einem Glas Veuve Clicquot nach dem anderen vertrieben und war schon ziemlich abgefüllt. Ich betrachtete sie neidisch.
»Schön«, lenkte Vivian - völlig untypisch - ein und entließ mich mit einer
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