Teufel - Thriller
Sakristei, dies ist ein Haus Gottes und kein Zoo.«
»Vergessen Sie es«, entgegnete der Wissenschaftler kühl und nahm Tschak demonstrativ auf den Arm. »Der Hund bleibt bei mir.«
»Va bene! Dann kommen Sie mit! Ich zeige Ihnen den Mann.«
Eddy blieb zurück.
»Sie meinen, man kann ihn anschauen?«, rief Barbara entgeistert und folgte den Männern mit hastigen Schritten.
Vor einem riesigen Wandbild an der Nordwand der Kirche blieb Frascelli stehen. Er hob die Hand und deutete ins Zentrum der farbenprächtigen Darstellung. Mit einem schiefen Lächeln sagte er: »Prego, Professore, der Mann, der Zwietracht sät!«
»Lassen Sie die Scherze!«, entgegnete Sina entrüstet. »Das ist das Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci.«
»Temo di no… Ich fürchte, nein«, widersprach Frascelli. »Das ist die weltweit einzige, originalgetreue Kopie von Leonardo da Vincis Meisterwerk.«
Der Priester wies mit beiden Händen auf das Bild. »Unser › Il Cenacolo ‹ ist sogar weit besser erhalten als das Original in Milano. Schauen Sie doch! Es zeigt Farben und Details, die dort längst verloren gegangen sind. Seine Geschichte beginnt im Jahr 1805, als Kaiser Napoleon das legendäre Wandbild von da Vinci im Refektorium des Dominikanerklosters Santa Maria della Grazie sah. Weil er das Gemälde nicht mitnehmen konnte, beauftragte er ein Jahr später den römischen Künstler Giacomo Raffaelli, eine maßstabsgetreue Kopie für Paris anzufertigen.«
»Und diese Kopie ist nun in Wien? Dieses Bild?«, staunte Barbara und war von der Leuchtkraft der Farben beeindruckt.
»Es ist kein Bild«, wandte Frascelli ein. »Es ist ein Mosaik. Raffaelli hat Hunderttausende, nur wenige Millimeter große Glassteinchen genommen und vollkommen lückenlos aneinandergefügt. Er arbeitete acht Jahre daran. Zu lange. Napoleon war bereits auf die Insel Elba verbannt worden, und so kaufte sein Schwiegervater, Kaiser Franz I. von Österreich, das Mosaik und schenkte es der italienischen Nationalkirche.« Der Pater zeigte auf die hohen Fenster. »Es wurde sogar in derselben Art und Weise wie in Mailand aufgehängt. Der Lichteinfall der Fenster von links ist auf Christi Kopf zentriert, Jesus und die Apostel werden von vorne beleuchtet, genau wie Leonardo es wollte.«
»Wissen Sie auch, warum sich alle Apostel zu Jesus neigen?«, fragte Georg die Nonne und unterbrach damit die ehrfürchtigen Ausführungen des Priesters.
»Nein, warum?«
»Damit sie alle mit aufs Bild kommen!«, grinste Sina und ignorierte den zornigen Blick des Pfarrers.
»Sono tutte scemenze!«, brauste Frascelli auf. »Das ist kompletter Unsinn! Die Jünger neigen sich Jesus nicht zu. Sehen Sie doch genau hin. Die Gemeinschaft der Zwölf zerfällt. Sie stecken immer zu dritt die Köpfe zusammen und streiten!«
»Sie streiten? So habe ich das noch nicht gesehen«, musste Sina zugeben und fuhr sich über den Bart. »Was bedeutet das? Haben Sie eine Ahnung?«
»Certo!«, rief der Priester aus. »Leonardo hat genau jenen Moment eingefangen, in dem Jesus zu seinen Jüngern sagt: › Doch siehe, die Hand meines Verräters ist mit mir am Tisch. ‹ Und die Evangelisten berichten weiter, dass die Jünger sogleich begannen zu streiten, nicht nur darüber, wer der Verräter in ihrer Mitte ist, sondern auch darüber, wer der Ranghöchste in ihrer Runde wäre. Es entbrannte also ein Streit um die Führung der Kirche, nachdem Jesus gestorben war.«
»Und Sie meinen wirklich, darum ist Jesus der Mann, der Zwietracht sät?« Sina schüttelte den Kopf. Nein, das glaubte er nicht. Jesus Christus stellte bestimmt nicht die Lösung für Jauerlings Rätsel dar.
»Professore, Sie verstehen mich nicht.« Frascelli klang enttäuscht. »Es geht überhaupt nicht darum, ob dieser Mann in Kühnring Zwietracht gesät hat.«
»Sondern?«, brummte Georg ungehalten.
»Jesus ist einfach überall und zu jeder Zeit der Mann, der Zwietracht sät.« Der Priester sah Sina direkt in die Augen. »Und das ist es, was da Vinci uns mitteilen wollte.«
»Unsinn!«, widersprach Barbara heftig. »Der Erlöser ist die fleischgewordene Liebe unseres Herrn. Er steht für Frieden und Nächstenliebe.«
»Aber ganz und gar nicht, Schwester.« Auf Frascellis Gesicht erschien ein dünnes, abschätziges Lächeln, bevor er sich wieder Georg zuwandte. »Sie wissen, seit Sie in Schöngrabern waren, wer sich ab dem 4. Jahrhundert nördlich der Donau versteckt hat. Sonst wären Sie nicht hier. Lesen Sie das Bild mit den Augen
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