Teufel - Thriller
abgegriffene Folianten, die in Leder gebunden waren. Juristische Werke neben alchemistischen Rezeptsammlungen, die Geschichte der Heiligen neben frühen Bibelausgaben. Wenn es ein System gab, dann durchblickte es der Advocatus Diaboli nicht.
Plötzlich hob er den Kopf. War da ein Geräusch gewesen? Kam jemand die Treppe herunter? Er blieb stehen und hielt den Atem an.
Nichts, er hatte sich getäuscht.
Ungeduldig warf er einen Blick auf die Uhr. Es war bereits 10.10 Uhr, und der Heilige Vater würde auf ihn warten. Warum hatte er auf den Schweizergardisten gehört und war zuerst ins Archiv gegangen? Dafür wäre später auch noch Zeit gewesen, ärgerte er sich.
»Hallo! Ist da jemand?«
Seine Stimme wurde von der meterhohen Papierflut rund um ihn verschluckt. Er würde in den Hauptgang zurückgehen müssen, um gehört zu werden. Entschlossen machte er sich auf den Weg zur gelben Linie.
Wenige Augenblicke später stand er in dem langen Gang, der noch immer menschenleer war. Über seinem Kopf flackerte summend eine Neonröhre.
»Hallo!«
Er kam sich etwas lächerlich vor, wie ein kleiner Schuljunge, der bei einem Ausflug die Klassenkameraden und seine Lehrerin verloren hatte. Ein schmaler Schreibtisch stand an einem der Regale im Gang, und Bertucci deponierte seine Aktentasche auf der bekritzelten Schreibunterlage. Dann sah er sich erneut um.
Hier war niemand, das war sicher.
Hier ist nichts und niemand jemals sicher… Die leise Stimme in seinem Kopf schien nur auf diesen Moment gewartet zu haben, um ihr Mantra wieder anzustimmen.
»Blödsinn«, sagte Bertucci laut. Er sah das kleine weiße Hinweisschild »Scala« mit einem schwarzen Richtungsweiser auf einem der Pfeiler und sein Beschluss stand fest. Entschlossen schnappte er seine Tasche. Dabei rutschte die Schreibunterlage vom Tisch und fiel auf den Boden. Der Advocatus Diaboli bückte sich, hob sie auf und legte sie sorgsam wieder zurück.
Dann wandte er sich zum Gehen.
»Nicht so rasch, Eminenz!«
Ein Mann war in einiger Entfernung aus einem der Seitengänge getreten und kam auf ihn zu. Die Pistole in seiner Hand ließ keine Zweifel an seiner Absicht aufkommen.
»Major Bertani!«, rief Bertucci überrascht aus. »Was machen Sie hier?«
»Ich habe auf Sie gewartet, irgendwann mussten Sie ja wieder zurückkommen von Ihrem Kampf gegen die Windmühlen«, gab der Pro-Deo-Chef trocken zurück.
»Sie haben uns eine Menge Unruhe beschert«, ertönte eine Stimme hinter Bertucci. Als er herumfuhr, stand Scaglietti vor ihm, die Hände in die Hüften gestützt. Das offene Sakko verbarg das Schulterhalfter nur ungenügend. »Wie kann ein so gescheiter Mensch gleichzeitig so dumm sein?«
»Mörder!«, stieß Bertucci zwischen den Zähnen hervor. »Sie waren es, die Rossotti, seinen Sekretär und Dr. Zanolla umgebracht haben! Sie haben einen Staat im Staat errichtet, jede Moral verloren und glauben nun, Sie seien Herren über Leben und Tod. Aber es gibt nur einen Gott, egal welcher Religion wir angehören. Und vor dem werden Sie sich verantworten müssen.«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, alter Mann«, winkte Scaglietti ab, »Sie werden ihm früher begegnen als wir. Da haben Sie dann genug Zeit, um mit ihm an der Anklage zu basteln.«
»Und wer weiß, vielleicht bekommen wir ja einen päpstlichen Generalablass?« Bertani lächelte nachsichtig. »Sie haben ja keine Ahnung, Bertucci. Sie stürmen durch die Weltgeschichte, immer das Gute vor Augen und das Böse im Genick. Vielleicht hätten Sie sich vorher mit Ihrem zweiten Chef besprechen sollen…«
»Hören Sie mit Ihrer Blasphemie auf! Der Heilige Vater kann davon niemals etwas gewusst haben«, ereiferte sich der Advocatus Diaboli, »geschweige denn irgendeine Anordnung gegeben haben, drei Morde auszuführen. Da gibt es keinen Augenblick des Zweifels für mich!«
»Ihr Glaube ehrt Sie, aber er bringt Sie auch ins Grab«, erwiderte Bertani ungerührt. »Die Welt ist nicht schwarz-weiß, manchmal ist sie auch grau. Es gibt Interessenkonflikte, Abwägungen, politische Bestrebungen und wirtschaftliche Notwendigkeiten.«
Bertucci trat einen Schritt vor, und Bertani hob instinktiv die Pistole.
»Aber Mord bleibt immer Mord, wie immer Sie es auch drehen und wenden«, zischte der Kardinal. »Daran hat sich seit den Zeiten der Borgias nichts geändert, und es wird auch in den nächsten Jahrtausenden noch so bleiben. Wer hat meinem Freund Rossotti den Kopf abgeschnitten? Waren Sie es oder Ihr werter
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