Teufel - Thriller
geniale Stratege und umsichtige Spielleiter, musste es auch gewusst haben, als er ebenfalls genau hier gesessen hatte, vielleicht sogar an diesem Tisch, in diesem Raum …
Auf der abgewetzten Bank, die entlang der Wände lief, rutschte Paul ebenfalls unruhig hin und her und war zugleich doch tief in Gedanken versunken. Hin und wieder beobachtete er aus den Augenwinkeln Barbara, die ihnen gegenüber stumm in der Speisekarte blätterte.
Der gestrige Abend hatte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Sie sah grau aus, ihre Bewegungen wirkten fahrig. Sina und Wagner hatten Barbara auf ihr Zimmer begleitet. Die Nonne war sichtlich verstört gewesen, hatte kein Wort mehr gesagt bis auf ein leises »Wir sehen uns morgen«.
Als die Tür zur Gaststube aufsprang, brandete eine Woge aus Licht und Lärm in das Extrazimmer, begleitet vom Duft des Fritto misto alla Piemontese, der Spezialität des Hauses.
Die Kerzen flackerten im Luftzug, und die Schatten in den Ecken des Raumes erwachten zum Leben.
Paul atmete erleichtert aus, als ein Kellner mit gezücktem Bleistift und einem dünnen Block in der Hand eintrat. Er schob sich an den Tisch und blickte sie der Reihe nach erwartungsvoll an, bevor sein Blick an Barbara hängen blieb. Georg wunderte sich über die asiatischen Züge und den langen Pferdeschwanz, zu dem die dicken, schwarzen Haare gebunden waren.
»Che cosa desidera, signora?« Das Italienisch des Obers war akzentfrei.
Mit fahrigen Bewegungen deutete Barbara stumm auf ein Gericht und legte dann die Karte wieder zurück.
»Keine Vorspeise?«, fragte der Kellner geschäftsmäßig.
Sie schüttelte nur den Kopf.
»Bringen Sie uns bitte einen Nero d’Avola«, bestellte Georg, und Paul ergänzte: »E una bottiglia d’acqua minerale gassata.«
»Und was darf es für Sie zum Essen sein?«, hakte der Ober nach, während er die Getränke notierte.
»Solo due insalate«, meinte Paul, und Georg nickte einfach. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und er wusste nicht, ob er auch nur einen Bissen des Salats anrühren würde.
Der Mann mit der schwarzen Schürze nickte kurz, steckte seinen Block ein und verschwand wieder. Als die schwere Tür hinter ihm zuschlug, herrschte bedrückende Stille im Raum. Barbara betrachtete ihre Hände, und Paul fragte sich, was in ihrem Kopf vorging.
Die Entscheidung rückte näher.
»Warum sind wir hierhergekommen?«, fragte sie, ohne den Blick von der Tischplatte zu heben. »Hätten wir nicht einfach wieder abreisen können? Zurück…« Ihre Stimme zitterte.
»… in ein Leben, in dem nichts mehr so sein würde wie vorher?« Georg klang müde. »Wir haben etwas gefunden, das den Lauf der Geschichte bestimmt hat, für zwei Jahrtausende, das Leben von uns allen, egal ob wir daran geglaubt haben oder nicht. Jesus war ein Menschensohn, ein Prophet des Heiligen Geistes, aber er ist nie fleischlich auferstanden von den Toten. Er wurde gekreuzigt, begraben und für Hunderte Jahre blieb er, wo er war – zwei Meter tief im Felsen in der Erde von Jerusalem. Bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Gebeine eine abenteuerliche Reise kreuz und quer über den Kontinent antraten.«
»Er war ein Unruhestifter in seinem Leben und er war es auch nach seinem Tod«, stellte Paul entschieden fest. »Für Rom war er eine Lichtgestalt, deren Wundertätigkeit um jeden Preis aufrechterhalten werden musste. Schließlich basiert die christliche Kirche auf ihm, auf seiner Person, seinen Erlebnissen und nicht zuletzt auf seinem Namen. Jesus Christus.«
»Aber warum?« Barbara schluckte. »Warum dann hierher? Warum im › Tre Galline ‹ ? Warum Turin?«, flüsterte sie.
»Weil Turin die Stadt des Teufels ist, der Berührungspunkt der drei Dreiecke«, erinnerte sie Paul, »dem roten, dem weißen und dem schwarzen. Wie es auch drei Päpste in Rom gibt, einen weißen, einen roten und einen schwarzen. Haben Sie schon vergessen? Die Kirche von Bérenger Saunière in Rennes-le-Château? Der Teufel, in Rot, hält das Weihwasserbecken und spielt Schach gegen Jesus, der auf der anderen Seite des Brettes steht. Ein Mosaik aus weißen und schwarzen Platten. Sie sind die ewigen Gegenspieler, Jesus und der Teufel, der gefallene Engel, der Lichtbringer Luzifer, und der in den Himmel aufgefahrene Jesus.«
»Bezeichnete die Kirche nicht immer Jesus als das Licht der Welt? Das Lamm Gottes, das zur Schlachtbank geführt wird?« Georg malte Dreien auf die Tischplatte und schaute mit starrem Blick in die Kerzenflammen vor ihm.
»Er hat es
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