Teufel - Thriller
Sinne dabei, ihn zu verraten.
»Ich will das Archiv. Jene Kisten, die 1815 bei der Flussüberquerung des Taro von den Fluten hinweggespült wurden, von den Ochsenkarren ins Wasser gefallen sind und seither eine abenteuerliche Reise durch die Geschichte und durch Europa gemacht haben. Das geheime Archiv des Vatikans, das verborgene Wissen der römischen Kirchenmacht. Und ich gebe Ihnen eine Minute Zeit, sich zu entscheiden.« Mit spitzem Finger klopfte er auf das Glas der Taschenuhr vor ihm.
»Wie kommen Sie darauf, dass wir es haben oder auch nur wissen, wo es ist?« Georg versuchte fieberhaft, Zeit zu schinden, um seine Gedanken ordnen zu können.
»Was bekommen wir dafür? Sie haben von einem Handel gesprochen«, kam ihm Paul zu Hilfe und versuchte krampfhaft, die Spinnweben in seinem Kopf loszuwerden.
Der Mann lachte leise in sich hinein, und es klang gefährlicher als jeder Wutausbruch.
»Ich mache die Spielregeln und ich breche sie auch, wenn ich es für richtig halte«, flüsterte er. »Versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen. Seit einigen Tagen haben Geheimdienste, Religionsgemeinschaften und mächtige Gruppierungen versucht, Ihnen das Geheimnis abzujagen. Aber Sie beide waren geschickt, das muss ich Ihnen zugestehen. Sie haben alle getäuscht und sie auf eine ganz andere Fährte gelockt. Das Grab, Santiago de Compostela, das Sternenfeld, Finisterre, das Ende der Welt. So hat niemand mehr an Unterretzbach gedacht, an den Weinkeller unter der Kirche, mit den beiden Raupenschleppern-Ost und ihrer wertvollen Fracht. Geweihte Erde.«
Er machte eine Pause, und seine blauen Augen blitzten unter der Hutkrempe hervor. Plötzlich hob er seine Faust und zertrümmerte mit einem mächtigen Schlag die Taschenuhr. »Die Minute ist vorbei«, zischte er, »und meine Geduld ist zu Ende. Sie holen die Kisten für mich aus diesem verfluchten Keller unter der Kirche, bringen sie ans Tageslicht, und damit ist Ihre Aufgabe erfüllt.«
Er stand auf, lehnte sich über den Tisch, und sein Gesicht war keine dreißig Zentimeter mehr von dem Pauls entfernt. Die Luft zwischen ihnen schien zu gefrieren. »Und was Sie davon haben, Herr Wagner? Ganz einfach. Ich lasse Sie leben, mit all Ihren Albträumen und Ihren Ängsten, Ihren Hoffnungen und Ihren kleinen Ambitionen. Ich schenke Ihnen noch ein paar Jahre.«
Er richtete sich auf, und es war, als ob sein Körper im Schein der flackernden Kerzen immer größer wurde und bis an die Decke reichte.
»Der kleine Balthasar Jauerling war ein tapferer Mann«, sagte er wie zu sich selbst. »Er saß an derselben Stelle wie Sie jetzt, vor 220 Jahren. Und er hatte Angst, eine Angst, die ihn von innen heraus auffraß. Aber er kam trotzdem hierher, in den innersten Kreis, in mein Reich.«
Georg konnte nur zu gut nachempfinden, wie sich der Leiter des Schwarzen Bureaus gefühlt haben musste. Er war knapp davor, sich zu übergeben.
»Wie Sie sehen, schmiede ich meine Pläne über einen längeren Zeitraum. Oder dachten Sie, die Spur, die Sie vor einem Jahr zu den Dokumenten Metternichs und damit zum Leichnam Jauerlings und dem Archiv des Schwarzen Bureaus führte, war ein reiner Zufall? Das würde nur ein Narr denken…«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um, öffnete rasch die Tür und verschwand mit gesenktem Kopf und wehendem Mantel im Gastraum des »Tre Galline«.
In der Via Gian Franco Bellezia war in der Zwischenzeit offenbar eine asiatische Reisegruppe eingetroffen, die nur aus durchtrainierten Sportlern zu bestehen schien. Als eine hochgewachsene elegante Frau im schwarzen Mantel aus dem »Tre Galline« trat und sich nach kurzem Zögern nach rechts wandte, machten ihr die Männer bereitwillig Platz. Einige sahen ihr nach, wie sie die schmale Gasse entlang in Richtung Innenstadt ging, mit wehenden blonden Haaren, bevor sie mit den Schatten der Nacht verschmolz.
Dann ging die Tür zu dem Feinschmeckerlokal ein weiteres Mal auf, und die beiden alten Herren traten in die Kühle des Abends. Der Hagere stützte sich auf einen Spazierstock mit einem großen, silbernen Knauf, der einen Engel mit weit nach rückwärts gestreckten Flügeln darstellte.
»Das hätte schlimm enden können«, meinte er nachdenklich zu seinem Begleiter, der mit einer Handbewegung den Großteil der Leibwächter wieder in ihre Fahrzeuge beorderte.
»Wir hätten aber noch ein kleines Wörtchen mitzureden gehabt«, lächelte der Asiate. »Waren wir Chinesen nicht immer schon Meister im
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