Teufels-Friedhof
Todesengel.
»Verstehst du das?«
Vivian schüttelte den Kopf. »Nein, irgendwie ist sowieso alles anders als sonst.«
»Wie meinst du das denn?«
»Die Atmosphäre. Sie ist noch dumpfer, noch drückender. Ich habe das Gefühl, daß es hier bald zur Sache gehen wird. Dann aber richtig. Oder bist du anderer Meinung?«
»Keine Ahnung.«
Die beiden betraten die Disco. Die schwere Trauermusik umtoste sie wie ein Sturm. Waren die normalen Discotheken mit vielen technischen Tricks eingerichtet, so sah es hier völlig anders aus. Man hatte bewußt keinen Wert auf Design oder Einrichtung gelegt. Die Wände waren kahl und schwarz gestrichen worden. Zudem hielt sich auch die Lichtmenge in Grenzen, und wenn Licht gebraucht wurde, hatte man es gefiltert.
An der rechten Seite befand sich die Theke, die immer umlagert war. Es gab nur wenige Hocker, ebenso verhielt es sich auch mit den übrigen Sitzplätzen. Keine Tische, keine Stühle, dafür Sitzbretter an den Wänden, wo man sich ausruhen konnte.
Der langen Theke gegenüber befand sich die Kanzel. Sie wurde so genannt, weil sie höher lag und durch eine Wendeltreppe erreicht werden konnte.
Nur diente sie nicht als Ort für Predigten, denn auf der Kanzel hatte der rote Teufel sein Reich. Da stand er und dirigierte sein Volk. Zumeist legte er nur Platten auf, denn offiziell besaß er die Funktionen eines Discjockeys. Tagsüber jobbte Frank Oschinski in einem Plattenladen in der Dortmunder City, aber in der Nacht verwandelte er sich in den roten Teufel, der an diesem Abend noch nicht zu sehen war. Wahrscheinlich kam er später. Überhaupt war die Disco noch nicht sehr voll. Ein muffiger Geruch erfüllte den viereckigen Saal. Die Gäste schritten stumm und zombiehaft über den ebenfalls dunkel gestrichenen Beton. In einer anderen Ecke liefen Videofilme, um die sich nur wenige kümmerten, denn die meisten hatten die Streifen schon mehrmals gesehen. Die wenigen Grusel-Poster an den Wänden wirkten irgendwie verloren. Überhaupt machte die gesamte Szenerie einen verlorenen Eindruck. Einige Grufties hatten sich zu Tänzen zusammengefunden, bildeten einen Kreis und bewegten sich dabei wie schaufelnde Totengräber. Dieser Tanz war hier ›in‹, nicht etwa Lambada oder Ji vc. Heinz und seine Gruftie-Braut kämpften sich vor bis zur Theke, wo ihnen Bekannte mit bleichen Gesichtern zunickten, die nur in Höhe der Augen und an den Lippen geschminkt waren.
Dort zeigten sie zumeist einen schwarzen glänzenden Lack. Ein ungewöhnliches Make-up, das nur die Mundpartien und die Augen hervorhob, ansonsten die übrigen Gesichter zu blaßbleichen Flecken machte. Viele von ihnen besaßen den gleichen Schnitt. Hochgekämmt, schwarz gefärbt und dann mit Lack beschmierte Haare, so daß die Frisuren wie Stacheln wirkten.
Hinter der Theke arbeiteten zwei Keeper. Zwillinge, die kaum jemand unterscheiden konnte, zudem trugen sie die gleiche Kleidung. Hochgeschlossene Kittelhemden und einen Schmuck aus nachgemachtem Silber, der einen Druidenstern darstellte. Die Grufties tranken nicht nur Bier, viele hatten sich entschlossen, den Höllendrink zu nehmen, ein blutrotes Gesöff, von dem niemand wußte, was es enthielt.
Man sprach von Tierblut und anderen Ingredienzien. Jedenfalls mixte Oschinski es persönlich. Niemand durfte ihm dabei zuschauen, auch die Bartender nicht.
Die Neuankömmlinge drängten sich zwischen die anderen. Vivian bekam noch die Hälfte eines Hockers mit.
»Was wollt ihr trinken?«
So müde, wie die Frage klang, gab Gruftie-Heino auch die Antwort.
»Zweimal Spezial.«
»Gut.«
Die roten Drinks wurden in hohen Gläsern herangeschoben. Es mußte gleich gezahlt werden.
Traurig sah es aus, wie die Grufties die Gläser anhoben und sich zuprosteten.
Vivian spürte wieder den leicht süßlichen, aber auch bitteren Geschmack auf der Zunge. Abermals überlegte sie, ob sie nun wirklich Blut trank. Die Musik war verstummt, deshalb konnten Heinz und seine Freundin die Stimmen der Gäste besser hören. Man unterhielt sich flüsternd, nie laut, als würden sich alle auf einer Beerdigung befinden. Man starrte ins Leere, man bewegte sich träge, und die Tänzer kamen mit schaukelnden Schritten an die Theke.
»Frank kommt gleich«, flüsterte jemand.
Die Parole ging durch. Man war gespannt, denn Frank hatte für diese Nacht etwas Besonderes versprochen.
Noch hielt er sich zurück. Daß er da war, wußten alle. Nur besaß er irgendwo ein Versteck, in dem er sich auch umzog und aus dem
Weitere Kostenlose Bücher