Teufels-Friedhof
nähern.
Trauerklänge schallten ihm entgegen. So unheimlich klingend, so klagend, daß ihm beinahe die Tränen kamen.
Vor der offenen Eingangstür blieb er stehen, schaute hinein in die graue, traurige und für ihn völlig fremde Welt, wobei er nur den Kopf schütteln konnte.
Sehr langsam betrat er das feindliche Gelände. Auch hier kümmerte sich niemand um ihn. Die jungen Gäste standen selbstvergessen an der Theke oder bewegten sich mit zeitlupenhaften Bewegungen im Hintergrund. Sie tanzten…
Er ging weiter. Wenn sich ihm die weiß geschminkten Totengesichter zudrehten und ihn dunkel gefärbte Augen anschauten, hatte er den Eindruck, lebende Tote zu sehen.
Ein Mädchen hielt einen Rosenkranz in der Hand und schleuderte ihn wie eine Bola, während sie mit der anderen an einem blutroten Getränk nippte und sich nicht darum kümmerte, daß der enge, schwarze Kunstlederrock bis zu den hellen Schenkeln hochgerutscht war. Diese Welt war nichts für ihn. War sie denn etwas für seine Tochter?
Bisher hatte er Vivian nicht zu Gesicht bekommen. Jedenfalls saß sie nicht an der langen Theke, und auch auf einer der Wandbänke konnte er sie nicht ausmachen.
Blieben nur die Tänzer.
Mit mißtrauischen Blicken näherte er sich der Gruppe. Da bewegten sich Jungen und Mädchen in einem ihm fremden Rhythmus.
Aus irgendwelchen Öffnungen kroch künstlicher Nebel, der mit einem Geruchsaroma unterlegt sein mußte, denn Golombek nahm den Gestank von feuchter Erde, Grab und Moder wahr.
Er schloß für einen Moment die Augen, weil er es einfach nicht glauben konnte. Sein Gehirn weigerte sich, diesen Anblick wahrzunehmen. Da war auch seine Tochter. Sie tanzte selbstvergessen — mit dem Rücken zu ihm —, beugte sich einmal nach vorn, streckte sich, und ihre Arme bewegten sich dabei wie Schaufeln.
Manchmal schleuderte sie auch die Beine vor, als wollte sie etwas zur Seite treten, und so wie sie bewegten sich auch die anderen Tänzer. Ihr Freund schien die Person rechts neben ihr zu sein. Keiner achtete auf Rudi Golombek.
Zwei Schritte ging er vor und legte seiner Tochter Vivian eine Hand auf ihre Schulter.
»Ich glaube, es reicht, Vivian…«
Das Mädchen träumte von der Hölle, als es tanzte. Sie stellte sich die Hölle als ein Meer von Flammen vor, und aus ihnen schob sich langsam und unaufhaltsam jemand in die Höhe, damit er das Feuer überragte. Es war der Satan persönlich!
Als Schreckgestalt, versehen mit einem dreieckigen Kopf und einen fellbedeckten Körper hockte er auf einem schwarzen Thron, umwabert vom Meer des Feuers, ohne dabei selbst zu verbrennen. Es war ein Bild, das Vivian anmachte und dafür sorgte, daß ihr Blick einen schwärmerisch-träumerischen Ausdruck annahm. Für sie war es wunderbar, ein Ereignis wie ein Wahrtraum, etwas, das sie sah und nach dem sie sich sehnte.
Die Augen hielt sie halb geschlossen, war in Trance versunken. Bis sie den Druck auf ihrer rechten Schulter spürte!
Zunächst glaubte sie, von der Pranke des Teufels berührt zu werden, aber der sprach nicht mit der Stimme ihres Vaters, denn sie drang ebenfalls an ihre Ohren und riß sie aus ihren höllischen Halluzinationen.
»Ich glaube, es reicht, Vivian…«
Sie lauschte den Worten, wollte sie zunächst nicht zur Kenntnis nehmen und einfach weitertanzen, aber der Druck auf ihrer Schulter verstärkte sich noch.
»Es reicht wirklich, Vivian…«
Sie empfand es als widerlich, als grausam und gemein, dermaßen abrupt aus ihren Träumen gerissen zu werden, aber sie folgte dem Druck der Hand, die es gleichzeitig schaffte, sie herumzudrehen, so daß sie ihren Vater anschauen mußte. Sie starrten sich in die Augen, sie sprachen mit Blicken, aber sie redeten nicht miteinander. Ein jeder spürte den unsichtbaren Graben, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte.
Nur allmählich kehrte Vivian zurück aus ihrer Traumwelt in die Wirklichkeit.
Die Fratze des Teufels verschwand, dahinter sah sie das blasse Gesicht des Vaters. Seine dunklen Augenbrauen wirkten wie Balken, das Gesicht zeigte einen leicht verzerrten Ausdruck der Qual und spiegelte den Zustand der Seele wider.
Die anderen tanzten weiter, auch Heinz. Keiner kümmerte sich hier um den anderen.
»Was willst du?«
Trotz der schwermütigen Trauermusik hatte der Mann die Worte seiner Tochter verstanden. »Kannst du dir das nicht denken, Vivian? Ich will dich hier wegholen. Du wirst mit mir kommen. Du mußt einfach raus aus dieser verdammten Hölle. Das ist keine Umgebung für
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