Teufels Küche
langen Pausen, die wieder mit einem Seufzer endete. »Ich bin dir was schuldig, Morgan, nicht wahr?«
»Ein bißchen.«
»Also gut. Ich glaube folgendes. Erstens haben sie sich irgendwo eine angelsächsische Leiche beschafft. Zweitens haben sie sie eine Zeit lang im Meer einweichen lassen. Und drittens haben sie sie mit dem Paß und dem Führerschein von Meade und dem anderen Taschenabfall ausgestattet. Das glaube ich.«
»Und warum haben sie sich die ganze Mühe gemacht?«
»Warum? Weil sie wollen, daß er für tot gehalten wird.«
Diesmal war es Citron, der die Stille eintreten ließ. Es vergingen ganze fünf Sekunden, ehe er fragte: »Und wozu das Ganze?«
Lo kicherte, dann sagte er: »Ich muß jetzt wirklich aufhören, Morgan. Melde dich mal wieder.«
Es klickte, und die Leitung war tot. Langsam legte Citron den Hörer auf und fragte sich, wie lange er mit Lionel Lo gesprochen hatte. Dann erinnerte er sich an seine neue Uhr. Er blickte darauf und stellte fest, daß das Gespräch neun Minuten gedauert hatte. Was hatte es wohl gekostet? Danach begann er über Drew Meade nachzudenken.
Nach fünf Minuten Nachdenken und einem Glas Rotwein rief Citron bei der Fernsprechauskunft an, bekam die Nummer, die er haben wollte, und wählte dann New York direkt an. Er rief bei der wohl besten Zeitung der Welt an. Als sich die Zentrale meldete, verlangte Citron, mit einem Mann verbunden zu werden, den er in solch abgelegenen Gebieten wie Lagos, Belfast, Addis Abeba oder Tananarive gut gekannt hatte. Der Mann hatte fünfundzwanzig Jahre als Auslandskorrespondent verbracht, und Citron erinnerte sich an ihn als einen sehr intelligenten, wenn nicht sogar brillanten Reporter, der sehr schnell knappe und klare Texte schrieb.
Bis zu seiner Pensionierung hätte er ein nützlicher, gut informierter Auslandskorrespondent bleiben können, wenn ihm nicht – wie er es immer formulierte – »die Beine den Dienst versagt hätten«. Jetzt lebte er in Connecticut, pendelte zur Arbeit, zog Jack-Russell-Terrier auf und schrieb Nachrufe für berühmte Ausländer, die er gekannt hatte und von denen er erwartete, daß sie bald starben. Oder relativ bald. Er selbst hatte bis zu seiner Pensionierung noch vier Jahre vor sich, und als Citron anrief, arbeitete er an dem Nachruf für den immer noch sehr vitalen Häuptling Obafemi Awolowo aus Nigeria.
»Du willst doch nicht deinen eigenen Nachruf durchgeben, Morgan?« fragte er, nachdem sie sich begrüßt hatten.
»Nein, noch nicht.«
»Weißt du, es gibt Leute, die das tun. Sie gehen in den Ruhestand und das Telefon klingelt nicht mehr und sie fangen an, darüber nachzubrüten, wie man sich an sie erinnern wird. Also rufen sie hier an – nur um sicherzugehen, daß bei uns die Fakten stimmen. Was sie aber wirklich beunruhigt, ist, daß wir vergessen könnten, wer und was sie waren und was sie damals 1947 in der Kommission für Energiewirtschaft geleistet haben. Sie werden auch geschwätzig, genau wie ich. Aber was kann ich für dich tun?«
»Drew Meade. Klingelt es da bei dir?«
»Meade. Meade. Der Ich-führte-neun-Leben-Meade. Meinst du den?«
»Waren es so viele?«
»Nahe dran. Aber er hat nie soviel dabei herausgeschlagen wie Philbrick. Der führte nur drei Leben, wenn du dich erinnerst, und das können nur wenige außer ein paar überalterten Greisen wie ich. Woran arbeitest du denn? An einem Feature?«
»Ich denke darüber nach. Lebt er denn noch?«
»Philbrick oder Meade?«
»Meade.«
»Mal sehen, was der treue Computer zu sagen hat.«
Es folgte das Geräusch, wie der Hörer hingelegt und dann wieder aufgenommen wurde. »Starb in Singapur am Tag nach der Wahl. Das wäre nach unserer Zeit der Wahltag gewesen. Wir brachten es in der ersten Ausgabe als Füller und warfen es dann raus, um Platz für die Wahlberichte zu haben. Zwei Absätze von AP waren also alles, was Meade seine neun Leben einbrachten.«
»Kannst du sie mir vorlesen?«
»Sicher. ›Die Leiche von Drew Meade, dreiundsechzig, einem ehemaligen Mitarbeiter sowohl des FBI wie der CIA, wurde am Mittwoch von der Polizei in Singapur aufgefunden. Ein Sprecher der Polizei sagte, Mr. Meade sei anscheinend ertrunken.‹
Zweiter Absatz: ›Als Mitglied des Office of Strategie Services im Zweiten Weltkrieg, wurde Mr. Meade 1947 in das FBI übernommen und später, einem Sprecher der hiesigen Botschaft zufolge, Anfang der sechziger Jahre zur CIA versetzt. Die Vorbereitung der Beisetzung steht noch aus.‹ Keine Erwähnung
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