Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
verfehlt, so wie ich ins Psychologische abdrifte.«
»Ganz so würde ich es nicht sagen, aber mir ging etwas in dieser Art durch den Kopf«, gestand sie ein. »Woher wissen Sie das alles?«
»Wir waren drei Jahre lang verheiratet. Lange genug, um einen Menschen kennenzulernen, finden Sie nicht?«
»Hm.«
»Außerdem habe ich drei Semester Psychologie belegt, bis ich herausfand, dass ich das beruflich nicht machen möchte. Nicht um alles in der Welt. Aber das Interesse ist da, und wenn man dann plötzlich mit einer derart belasteten Persönlichkeit liiert ist … Ich weiß, das klingt nicht nett, aber es ist nun mal ein Fakt, dass es Marion nicht gutgeht. Ganz im Gegenteil. Aber was ich noch erzählen wollte, bezüglich ihrer Vergangenheit: Da war also einst jenes zerbrechliche, wenn nicht sogar schon zerbrochene Wesen, welches nie eine gesunde Bindung erfahren hat. Und sie trifft auf Lutz Wehner, er war das Yin für Marions Yang, er war die starke, dominante Persönlichkeit, an die sie sich fortan band. Hieraus entwickelte sich eine Symbiose, und glauben Sie mir, es gibt keinen treffenderen Begriff dafür als diesen. Niemand konnte diese Verbindung je aufbrechen, weder Matty noch ich. Wenn Matty in der Nähe war, hielt Lutz sich zwar bedeckt, aber Marions Bruder hatte mit dem Club und seinen Jungs genug um die Ohren. Und dreimal dürfen Sie jetzt raten, warum unsere Ehe nicht gehalten hat.«
»Hat sie Sie mit Lutz …«, begann Julia zögerlich, doch sofort lachte Dr. Kühne meckernd auf.
»Wie? Nein. Sie ist nicht mit ihm in die Kiste gehüpft, Gott bewahre. Ich glaube, die Jahre, in denen wir zusammen waren, dürften für Marion in dieser Hinsicht der reinste Erholungsurlaub gewesen sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine es nicht, ich sage es ganz konkret«, betonte der Arzt. »Wehner wollte Marion besitzen, er hat sie von sich abhängig gemacht, sie gedemütigt und, ja, er hat sie regelmäßig missbraucht. Anders kann man das nicht nennen, denn sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Wenn ich zurückdenke, dann wundert es mich, dass es überhaupt zu unserer Hochzeit gekommen ist, aber Lutz saß damals für einige Monate im Knast.« Er lachte erneut, diesmal jedoch abfällig. »Sonst wäre das wohl überhaupt nichts geworden, nein, mit Sicherheit nicht. Als er rauskam, hat es nicht lange gedauert, und es ging los mit den Drohungen. Für eine Weile hat Matty den Daumen draufgehalten, aber irgendwann hat Lutz mich auf dem Weg zum Parkhaus abgepasst und mir klargemacht, dass Marion ihm gehöre. Ich solle mich entscheiden, ob meine Gesundheit, meine Praxis und mein Umfeld mir wichtiger wären als, ich zitiere, diese kleine Schlampe.«
»Und Sie haben nachgegeben?«
»Nicht sofort, nein«, beteuerte Dr. Kühne, »aber als mir klarwurde, dass ich meine Angestellten tagtäglich der Gefahr aussetze, einen Molotowcocktail in die Scheibe zu bekommen oder Schlimmeres, hielt ich dem Druck irgendwann nicht mehr stand. Keine Glanzleistung, das gebe ich zu, aber ich hatte nichts in der Hand, und Lutz Wehner hatte die ganze alte Gefolgschaft aus seinem Motorradclub auf seiner Seite.«
»Und Martin Kohlberger?«
»Keine Chance. Der Frieden zwischen den Clubs wog zu diesem Zeitpunkt mehr als das Schicksal eines Angeheirateten.«
»Aber es ging doch um seine leibliche Schwester«, erwiderte Julia energisch.
»Die aber lange vor mir mit Wehner zusammen gewesen war«, beharrte der Arzt. »Und ohne ihr jetzt den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen, aber sie hat sich nicht gerade lautstark positioniert.«
»Bedeutet im Klartext?«
»Das bedeutet, dass sie sich ohne großen Widerstand dazu überreden ließ, die Ehe scheiden zu lassen, um wieder frei zu sein. Ihrem Bruder kam das sogar ganz recht, denn somit wurden er und der Club nicht in die Sache hineingezogen. Marion hat das damals dann auch selbst gesagt, sehr kleinlaut allerdings. Es sei um des Friedens willen am besten so, sagte sie, aber ich wusste, dass sie das nicht ernst gemeint hat. Womit wir wieder beim Thema Symbiose wären. Dieser Wehner übt eine perfide Macht über diese Frau aus, gegen die man nicht ankommen kann.«
»Und deshalb haben Sie sich bei ihr gemeldet?«, fragte die Kommissarin mit bewusst eingesetztem Argwohn in der Stimme. Sie ärgerte sich darüber, dass sie ihrem Gesprächspartner nicht gegenübersaß, ihm nicht in die Augen sehen und seine Gesichtsmuskeln und die Körperhaltung beäugen konnte. All die Dinge, die ein Mensch, besonders
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