Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
seufzte sie tonlos und schüttelte den Kopf, weiter kam sie nicht, denn es knackte im Lautsprecher, und der Arzt nahm das Gespräch entgegen.
»Herr Dr. Kühne«, sagte sie freundlich, »ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet.«
»Aber Sie haben es mir doch so sehr ans Herz gelegt«, erwiderte dieser unverbindlich.
»Stimmt«, lenkte Julia ein, »die Entscheidung haben jedoch Sie getroffen.«
»Das liegt wohl im Auge des Betrachters. Denn ohne ein gewisses Ereignis hätte ich Sie wohl tatsächlich nicht kontaktiert. Bevor ich nun ins Detail gehe, wie ist es denn bei Ihnen mit der Verschwiegenheitspflicht?«
»Das ist abhängig von dem, was Sie mir erzählen wollen.«
»Hm. Wir Ärzte haben es da einfacher.«
»Das mag sein. Wenn Sie mir ein Verbrechen gestehen oder anzeigen, muss ich dem nachgehen. Das ist unser Berufsethos, genau wie Ihr hippokratischer Eid.«
»Der streng genommen kein Eid ist«, warf der Arzt ein.
»Ja, ich weiß. Aber Sie verstehen, es gibt da keine Grauzonen für mich. Geht es um die Sache von damals?«
»Nein.«
»Nein?«, wiederholte die Kommissarin irritiert. »Reden wir nicht über Ihre Exfrau?«
»Ich möchte über Marion sprechen, aber nicht über damals, und ich möchte Sie eindringlich darum bitten, so wenig wie möglich davon publik zu machen. Es geht dabei nicht um mich, es geht einzig und allein um sie.«
»Ich muss mein Team einbeziehen«, sagte die Kommissarin, »aber ich werde die Informationen auf das Nötigste beschränken.«
»Das ist in Ordnung, denke ich. Marion und ich haben gestern Abend telefoniert. Ich mache mir große Sorgen um sie.«
»Ich wusste nicht, dass Sie überhaupt noch Kontakt haben. Hat Ihre Sorge einen bestimmten Anlass?«
Dr. Kühne schwieg einen Augenblick und räusperte sich. »Es ist so«, begann er dann zögerlich. »Wir haben doch über Lutz Wehner gesprochen.«
»Ja.«
»Dieser Wehner spielt eine ungesunde Rolle in Marions Leben, ich denke sogar, er ist eine Gefahr für sie. Frau Durant, mir ist das etwas unangenehm, weil da alte Wunden wieder aufbrechen, die damals nur äußerst langsam verheilt sind. Außerdem möchte ich nicht in Verdacht geraten, mich aus Rache oder Eifersucht gegen Lutz zu wenden. Doch es ist nun einmal alles miteinander, hm, verquickt.«
»Sprechen Sie von Lutz Wehner als Ihrem Nachfolger an Marions Seite?«, fragte Julia ganz direkt. »Oder sprechen wir hier über den unglücklichen Verlauf Ihrer Ehe oder das schwierige Verhältnis zu Marions Bruder?«
»Nein, nein, Sie verstehen das ganz falsch«, unterbrach Kühne sie hastig. »Natürlich hängt alles irgendwie zusammen, aber Matty und ich hatten keine Probleme miteinander, im Gegenteil. Ich glaube, er war heilfroh, als seine Schwester geheiratet hat. Als sie mich geheiratet hat, um genau zu sein.«
»Wieso heilfroh?«
»Weil er sich nicht permanent um sie kümmern konnte. Wissen Sie, wie Marions Leben ausgesehen hat, wenn ihr Bruder nicht alles für sie gemacht hat? Sie ist manisch-depressiv, aber nicht wie aus dem Lehrbuch, sondern das Ganze ist gepaart mit einer Art Borderline-Persönlichkeitsstörung. Kennen Sie sich damit aus?«
»Nichts, was ich nicht in Erfahrung bringen könnte«, antwortete Julia wahrheitsgemäß, »wobei ich von Borderline weiß, dass diese Diagnose bei jungen Frauen oft als Konsequenz von sexuellem Missbrauch gestellt wird.«
»Ja, aber nicht ausschließlich.«
»Ich erwähne es deshalb, weil Ihre Exfrau ja ein entsprechendes Erlebnis gehabt hat«, sagte die Kommissarin.
»Dazu möchte ich noch nichts sagen, jedenfalls nicht sofort«, wehrte der Frauenarzt ab. »Lassen Sie uns erst einen Blick zurück in die Vergangenheit werfen, sagen wir, zwanzig Jahre. Marion war ein junges Mädchen, verlassen von jeder Bezugsperson. Stellen Sie sich einen Teenager vor mit einer ganzen Reihe von Verhaltensauffälligkeiten, allerdings solche, die man nicht auf den ersten Blick wahrnimmt. Junge Männer richten ihre Aggressionen in der Regel nach außen, Mädchen hingegen ziehen sich in sich zurück, tragen die Konflikte in ihrem Inneren aus. Das hat fatale Konsequenzen, denn eine zerbrochene Scheibe oder ein paar blaue Flecke kann man behandeln, aber den inneren Kriegsschauplatz sieht keiner. Solche Mädchen klammern sich oftmals an starke, extrovertierte Jungen, die stellvertretend für sie zuschlagen.«
»Darf ich mal etwas zwischenfragen?«, unterbrach Julia den Redefluss des Arztes.
»Äh klar. Sie müssen ja denken, ich hätte den Beruf
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