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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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ist beendet.«
    Als er in den Nordturm kam, wartete Wolff schon im Sekretariat. Er war Anfang dreißig, hatte einen kleinen Mund und einen breiten Kiefer, kurze braune Haare und eine eckige Brille mit Metallrahmen.
    »Lieber Herr Kollege!«, rief Vosskamp, ging auf ihn zu und gab ihm die Hand. »Frisch promoviert, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Wolff. »Deswegen habe ich für Ihren Auftrag auch sechs Wochen länger gebraucht als geplant.«
    »Hauptsache, sie sind fertig geworden. Bitte, kommen Sie.«
    Er klopfte dem jungen Mann leicht auf die Schulter und führte ihn in sein Büro zur Sitzgruppe. »Wie geht es Brelow, Ihrem Chef?«
    »Sein Buch über die Suggestibilität der dissoziativen Identitätsstörungen hat ziemlich eingeschlagen«, sagte Wolff. »Er hält einen Vortrag nach dem anderen.«
    »Und die Vorträge schreiben Sie, wie ich annehmen darf?«
    »Na ja, als sein Assistent habe ich ja auch an dem Buch mitgewirkt.«
    »Ich muss gestehen, ich hatte noch gar keine Zeit, das Buch zu lesen«, sagte Vosskamp. »Das wird Ihnen auch noch so gehen, junger Kollege. Ich sehne mich manchmal nach den Zeiten zurück, als ich noch alles selbst gemacht habe. Jetzt komme ich nicht mal dazu, meine Reden allein vorzubereiten«
    »Kein Problem«, antwortete Wolff. »Ich habe Ihnen die Studie über die Seele schon mal ausgedruckt, und die Datei auf CD gebrannt.«
    Wolff öffnete seinen Rucksack, holte eine Mappe heraus und reichte sie Vosskamp. Der begann zu blättern, erst langsam, dann immer schneller. Als er die fünfzehn Seiten durchgesehen hatte, fing er noch einmal von vorne an.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte er schließlich. »Das ist jetzt nicht das Material für die Rede, oder?«
    Wolff reckte kurz den Kopf und sah in den Text.
    »Doch, doch, das ist es«, nickte er.
    »Das sind ja nur Tabellen!«, rief Vosskamp. »Sie sollten aber eine Studie über die Seele ausarbeiten!«
    »Habe ich doch«, sagte Wolff. »Das ist eine Studie über die quantitative Präsenz des Seelenbegriffes in der gegenwärtigen Forschungsliteratur. Sie können das alles mit PowerPoint an die Wand werfen.«
    Vosskamp ließ die Mappe sinken. Dann lockerte er seine Krawatte. Er schwitzte. »Was soll denn das?«, fragte er.
    »Wie, was soll denn das?«
    »Was haben Sie sich dabei gedacht?«
    »Wie, was habe ich mir dabei gedacht?«
    Vosskamp rutschte auf die Vorderkante seines Sessels. Er fixierte den jungen Mann, dessen Augen vollkommen ruhig durch die Brille blickten.
    »Das sind doch nur Zahlen«, sagte Vosskamp langsam. »Die führen doch zu nichts. Was sollen die uns denn über die Seele verraten?«
    »Na, zum Beispiel, dass die Häufigkeit des Seelenbegriffs in einem Text um 17,3 Prozent zunimmt, wenn im selben Kontext der Identitätsbegriff auftaucht«, erklärte Wolff. »Auf Seite fünf gibt es ein Balkendiagramm dazu. Das ist doch aufschlussreich.«
    »Nein, das ist absurd! Daraus sollte eine Rede für die Philosophische Sonntagsrunde werden! Für meine Aufnahme in die Freud-Tinbergen-Gesellschaft! Die wollen was Poetisches, Theoretisches, Ekstatisches hören! Die wollen doch keine Statistiken sehen!«
    »Wieso denn nicht? Wissenschaft besteht aus Statistik«, sagte Wolff.
    »Aber die Seele besteht nicht aus Statistik!«
    »Anders kann man sie doch gar nicht erfassen«, sagte Wolff.
    »Aber was soll ich denn mit diesen ganzen Zahlen?«
    »Interpretieren«, sagte Wolff.
    »Aber ich wollte eine Rede halten, die die Leute aus den Sitzen reißt, keine biedere PowerPoint-Präsentation mit irgendwelchen Tabellen. Das wäre blamabel vor diesem Publikum.«
    »Wieso bieder? Wieso blamabel? Die Varianzanalyse hat ergeben, dass das arithmetische Mittel des Seelenbegriffs immer dann steigt, wenn es um die Schilderung von Krankheit geht. Bei der Darstellung von Gesundheit wird dagegen der Begriff der Psyche häufiger verwendet, und zwar um 38,4 Prozent. Die Seele ist also krank, die Psyche gesund. Das gibt doch zu denken.«
    Vosskamp legte die Mappe auf den Tisch und schob sie dem jungen Kollegen wieder hin.
    »Wir haben uns grundsätzlich missverstanden«, sagte er. »Mit dieser Arbeit kann ich leider nichts anfangen.«
    »Und das Geld?«, fragte Wolff. »Ich habe zwei Monate für die Studie gebraucht. Ist ja nicht meine Schuld, dass Sie sich nicht an wissenschaftliche Standards halten wollen.«
    »Ja, ja, Sie und Ihre Standards!«, rief Vosskamp. »Was Sie machen, das ist von der gleichen Kälte, mit der Oppenheimer die Atombombe gemacht hat. Aber

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