Teufelsberg: Roman (German Edition)
schon bei anderen Klinikkonzernen in Berlin bewährt. Es läuft so: Die private Anton-Delbrück-Klinik wird auf dem Gelände der Berliner Cardea gebaut. Sie nutzt deren medizinischen Service, die Therapieangebote und die Behandlungsräume. Aber als Privatklinik kann sie zugleich die Abrechnungsvorschriften für öffentliche Krankenhäuser umgehen und hohe Tarife verlangen.«
»Ach. Geschickt. Da ist eine Menge Geld drin, ja?«
»Oh ja«, sagte Vosskamp. »Normalerweise dürfen wir ja bei Privatpatienten immer nur die vereinbarten Zusatzleistungen extra abrechnen. Mit dem neuen Modell können wir jede Behandlungseinheit privat berechnen und außerdem die Tagessätze verdoppeln.«
»Und ich nehme an, das wirkt sich auch auf die Gehälter des Beirats aus? Unter uns, was ist für mich drin?«
»Hundertzwanzigtausend im Jahr, und Sie müssen nur zweimal jährlich zur Sitzung kommen. Sie wissen ja, wie das läuft, im Grunde brauchen wir nur Ihr Gesicht für unsere Homepage. Vielleicht klingt das alles zynisch. Aber auch wir Psychiater haben das Recht auf ein bisschen Selbstfürsorge, nicht wahr?«
»Und ob«, sagte Marinette, »das kommt letztlich auch den Patienten zugute. Ich bin aber nicht sicher, ob dieses Geschäftsmodell bei einer psychiatrischen Klinik funktioniert. Gut, auch reiche Leute werden psychisch krank. Aber die Psychiatrie hat doch immer noch einen schlechten Ruf. Da will doch keiner hin.«
»Das ist alles eine Sache des Marketings«, erklärte Vosskamp. »Wir haben die Cardea bereits mit großen Namen verknüpft. Seit Monaten veranstalten wir die Philosophische Sonntagsrunde mit international renommierten Philosophen, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern, und als künftiges Mitglied der Freud-Tinbergen-Gesellschaft werde ich diese natürlich auch miteinbinden. Wir werden Tagungen veranstalten, Symposien, Lesungen. Dieser Ruf von Intellektualität, Exklusivität und Innovation eilt der privaten Anton-Delbrück-Klinik schon jetzt voraus.«
»Klingt aussichtsreich.«
»Mit Ihnen sollen übrigens Professor Auberon McKinley aus London und Professor Winfried Küngler aus Tübingen den Beirat bilden«, sagte Vosskamp.
»Gute Namen.«
»Kurzum, die Anton-Delbrück-Klinik soll sowohl wirtschaftlich als auch psychiatrisch ein Erfolg werden.«
»Und wo kriegen Sie gute Ärzte her?«, warf Marinette ein. »Sie wissen doch, dass alle Flaschen, Versager und faulen Hunde unter den Medizinstudenten Psychiater werden. Anwesende natürlich ausgenommen.«
Vosskamp lachte.
»Die besten Medizinstudenten werden doch Nephrologen oder Radiologen«, fuhr Marinette fort. »Was ein Psychiater in einem Monat verdient, das verdienen die mit einmal draufhalten. Und die wenigen Idealisten unter den Psychiatern, die gehen kaputt, und am Ende sind sie die größten Zyniker von allen. Hinzu kommt, dass die psychiatrischen Patienten ohnehin die undankbarsten sind. Im Zweifelsfall wälzen sie ihre ganze Pathologie auf die Ärzte ab und suchen den Grund für ihren Ausfall dort. Die gesamte Antipsychiatriebewegung beruht auf diesem Mechanismus.«
»In der Anton-Delbrück-Klinik«, sagte Vosskamp, »schicken wir die suizidalen und die schwierigen Patienten auf die geschützte Station der Cardea, wo sie ja auch hingehören. Das geht dann zulasten von deren Quote, was denen nicht schadet, weil die sowieso den Versorgungsauftrag haben. Und wir begründen diese Taktik mit dem Behandlungskonzept der Selbstverantwortung und Ressourcenförderung, was es ja auch ist. Wir machen dann ein bisschen Burnout, Phobien und Trauma. Zu uns darf kommen, wer für sich garantieren kann. Das heißt, wer eigentlich gesund ist.«
Marinette pfiff durch die Zähne. »Das ist gut. Auch für die Patienten.«
Vosskamp lachte. »Sonst hätte ich nicht gewagt, Sie anzusprechen. Ihre Habilitation über Psychische Architekturen hat mich geradezu eingeschüchtert. Wenn ich mich nicht täusche, eröffnen Sie darin für die Psychiatrie einen neuen Zugang zu innerhäuslichen Problemen. Denn wo, werter Kollege, finden denn die großen psychiatrischen Dramen statt, wenn nicht in Gebilden der Architektur?«
»Gut erfasst«, sagte Marinette. »Mal sehen, vielleicht schaffe ich es ja zu Ihrem Vortrag. Danke übrigens für die Einladung.«
»Essen Sie am Sonntag mit uns allen zu Abend, mon chèr collègue. Das Cardea-Restaurant ist berühmt für den gegrillten Tintenfisch und den Madiran.«
Kurz nachdem Vosskamp aufgelegt hatte, klingelte das Telefon,
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