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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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zittern.
    »Interessanter Einwand«, sagte er. »Die Bewusstseinswende, die ich in meinem Vortrag skizziere und die offenbar auch Sie erkannt haben, zeigt, dass wir hier ganz im Trend liegen. Ich freue mich darauf, mich mit Ihrem Text auseinanderzusetzen.«
    »Das brauchen Sie nicht«, sagte Kalderhut. »Sie haben ihn doch gerade wörtlich vorgetragen. Ich zitiere mal was.« Er zog das »Nogurana«-Heft aus der Tasche und hielt es hoch in die Kamera. Dann las er aus dem eigenen Text vor: »In der Behauptung einer Existenz des Innersten offenbart sich das Phlegma der Moderne. Aber das Innerste gibt es nicht mehr. Und doch ist das Nichts die letzte Hoffnung. Das letzte Rätsel, das uns noch bleibt.«
    Die Journalisten griffen zu ihren Handys und sprachen hinein. Der Kameramann hielt auf Vosskamps Gesicht. Einige aus dem Publikum lachten. Die wissenschaftlichen Kollegen starrten Vosskamp nur an. Im Vorstand von Primal Prevention gab es Getuschel, dann verließ er geschlossen den Saal. Die drei Beiratsmitglieder der Anton-Delbrück-Klinik schlossen sich an. An der Tür sprach der Geschäftsführer in die Mikrofone der Journalisten.
    »Die Psychiatrie, auch die moderne Psychiatrie«, sagte Kalderhut, »ist eine Katastrophe. Und Sie, Herr Vosskamp, stehen dafür Pate.«
    »Aber das haben Sie doch geschrieben«, stotterte Vosskamp. »Sie haben die Existenz der Seele doch geleugnet.«
    »Nicht einmal das haben Sie verstanden. Ich interpretiere mich ungern selbst, aber ich mache mehr als deutlich, dass man die Seele durchaus verleugnen muss, um sie zu schützen. Vor den Worten. Vor dem Zugriff. Vor dem Missbrauch. Vor Leuten wie Ihnen. Ich hoffe, Sie werden die Konsequenzen ziehen.«
    Das Publikum klatschte verhalten Beifall.
    Vosskamp sah jetzt keine Gesichter mehr im Vortragsraum, nur Flecken. Er wusste, dass er unter einem Schock stand. Laut Diagnosehandbuch ICD-10 war das die Diagnose F43.0, akute Belastungsreaktion, dachte er. Wahrnehmungsstörungen waren typisch in solchen Situationen. Auch das Herzrasen, der Schwindel und das Gefühl der Körperlosigkeit.
    Er legte den Kopf zurück und blickte durch die Kuppel in den Himmel, den der beleuchtete Arm des Baukrans vergitterte. Der Arm schien sich langsam zu senken. Werde ich gerade ohnmächtig, fragte sich Vosskamp, bin ich dabei zu fallen und sehe daher alles schräg?
    Aber als er nach vorne schaute, waren die Sitzreihen im Publikum noch gerade, und unten erkannte er seine Füße, die immer noch auf dem Boden standen, in den schwarz polierten Schuhen.
    Wieder legte er den Kopf zurück, aber da war kein Kran mehr, sondern ein Brüllen, das sich von oben ins Gebäude wühlte, mit einem Meer von Lichtern. Vosskamp hörte ein Rasseln und Bröseln, dann Kreischen, er wusste nicht, ob es aus dem berstenden Material oder aus den Mündern des Publikums kam, die Leute drängten zum Ausgang, warfen die Stühle um. Im Saal war auf einmal ein Hindernis, ein Zaun, durch den sie krochen, während es Stangen und Splitter regnete. Erst als der Saal sich leerte, erkannte Vosskamp, dass der Zaun der umgestürzte Baukran war. Seine Lichter waren verglommen. Walpersdorf, schoss es Vosskamp durch den Kopf, Walpersdorf und die Expertise. Vor sich, in der zerwühlten Dunkelheit, sah er umgestürzte Stahlträger und irgendwelche Haufen, ob sie aus Möbeln oder Menschen bestanden, konnte er nicht ausmachen. Zwischendurch rumpelte es, weil das Material dem Druck des Krans weiter nachgab, das Glasolex platzte mit tonlosem Knall.
    Langsam verließ Vosskamp seinen Platz am Rednerpult. Unter seinen Füßen knirschten Scherben. Als er durch den Kran stieg, sah er zuerst die Beine der zerquetschten Körper, die nur noch aus Kleidung zu bestehen schienen, dann, zwischen gelben Stahlträgern, die Gesichter der Toten. Das Gesicht der Hofstedt lag starr hinter der großen, weißgerahmten Brille, die kleine Annika Fechner sah aus, als würde sie schlafen, und die Kaleschke, obwohl sie die Älteste war, wirkte kindlich und verwundert. Neben den drei Patientinnen lag Edgar Kalderhut. Sein vom Bart umrahmtes Gesicht war grau und verformt, wie aus Brot geknetet, und er hatte den Mund leicht geöffnet.
    Warum bin ich nicht tot, dachte Vosskamp.
    Auf einmal fand er sich im Park der Cardea wieder, er irrte zwischen nackten Erdhügeln umher, er wusste nicht, wie er hergekommen war.
    Dissoziative Fugue, dachte er, F44.1, Fluchtreaktion, noch so ein typisches Symptom bei F43.0.
    Drüben sah er die Cardea. Der Kran

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