Teufelsberg: Roman (German Edition)
Montagsrunde«, begann er.
»Guten Abend«, murmelten drei, vier der Patienten im Chor.
»Ja, also, wie jeden Montag besprechen wir, was am Wochenende so war und wie wir die laufende Woche so planen. Wie Sie sehen, haben wir eine neue Patientin. Frau Berger, ich begrüße Sie in der Cardea. So, wer möchte denn anfangen?«
»Sind wir noch auf dem Schiff?«, fragte Friedrich.
»Nein, Herr Bialla«, sagte Neef freundlich und mit lauter Stimme. »Sie sind hier in einer Klinik! Können Sie sich denn an Ihr Wochenende erinnern?«
»Ich war auf einem Schiff.«
»Das ist aber schon Monate her, dass Sie in New York waren, auf dieser Hafenrundfahrt«, sagte Neef.
»Mit Ursula. Wo ist sie denn bloß?«
»Ihre Frau ist nicht mehr da«, sagte Neef behutsam. »Aber Sie sind hier gut aufgehoben. Wissen Sie denn, wer ich bin?«
Friedrich lächelte. »Sie sind der Stewart!« Oben auf seinen schmalen Wangen saßen rote Halbkugeln, die kleinen Augen blitzten.
»Na schön«, sagte Neef. »Und wie geht es Ihnen sonst?«
»Ich will zu Ursula.«
»Ja. Das kann ich verstehen, Herr Bialla. Es ist eine schwere Situation für Sie. Wer möchte als Nächstes etwas sagen? Frau Kaleschke?«
Lotti atmete noch immer schwer und war rot und verschwitzt im Gesicht, aber Beate sah, dass sie sich für die Montagsrunde zurechtgemacht hatte, die weißen, halblangen Haare waren zurückgekämmt und in Wellen gelegt. Sie trug kleine Perlen in den zerknitterten Ohrläppchen, hatte sich die Wimpern getuscht, die schmalen Brauen nachgezogen und die Lippen im Nude-Look geschminkt. Trotzdem sah ihr Gesicht so aus, als sei es keine Schminke gewohnt.
»Wir alle hier lieben ja Herrn Bialla«, begann sie und nickte ihm zu, »unseren treuen Friedrich!«
Er lächelte sie an, und alle Patienten lächelten mit.
»Aber er kommt jede Nacht in mein Zimmer und sucht seine Frau«, sagte sie, ihr Gesicht wurde röter. »Ich weiß, dass er nichts dafür kann, aber ich schrecke jedes Mal auf und muss dann den Nachtdienst herbeiklingeln.«
Neef nahm seine Brille, die um den Hals hing, zog sie vorne am Magnetverschluss auseinander und ließ die Gläser mit einem Klicken auf seiner Nase zusammenkommen. Er holte einen Stift aus der Kitteltasche und machte eine Notiz auf dem Klemmbrett.
»Das ist leider typisch bei Alzheimer«, sagte er. »Herrn Biallas Schlaf-Wach-Rhythmus ist gestört. Wir sollten ihm Risperdal geben. Ich werde das gleich veranlassen. Ich wollte Sie aber noch fragen, Frau Kaleschke, warum Sie nie zur Ergotherapie gehen.«
»Ich kann doch keine Körbe flechten«, sagte Lotti, »dafür bin ich viel zu ungeschickt.«
»Wie wär’s mit Töpfern?«, fragte Neef.
Lotti schüttelte den Kopf.
»Vielleicht könnten Sie Mandalas ausmalen«, schlug Neef ihr vor. »Viele finden das beruhigend. Einfach mal was ausmalen, ohne was leisten zu müssen. Es gibt dort ganz viele Vordrucke.«
Lotti zog die Schultern und die Augenbrauen hoch und atmete laut ein. Dann schüttelte sie wieder vorsichtig den Kopf.
»Na gut, aber was ist mit der Tanztherapie?«, fragte Neef.
»Ich habe mit meinem Verlobten getanzt. Mit anderen tanze ich nicht.«
»Aber Ihr Verlobter ist doch seit über sechzig Jahren tot, Frau Kaleschke.«
»Johann Aschmutat ist verschollen.«
»Aber Sie könnten doch trotzdem in die Tanztherapie gehen. Es ist eher eine Therapie als ein Tanztee. Man bewegt sich ein bisschen und schaut mal, was das in einem so auslöst.«
»Aber ich kriege dann Panik.«
»Anders werden Sie Ihre Angst vor dem Fallen aber nicht bewältigen können, Frau Kaleschke.«
Sie senkte den Kopf. »Und meine Hüfte?«, fragte sie. »Wenn die wieder bricht?«
Neef seufzte. »Ich weiß, ich weiß, Frau Kaleschke, Sie haben mehr Schrauben in der Hüfte als der Terminator. Und gerade deshalb müssten Sie mehr Kampfgeist zeigen.«
Die Gruppe lachte, Lotti blickte ratlos drein, Friedrich schlief.
Neef teilte die Brillengläser, die nach unten fielen und klickend wieder zusammenkamen. Er beugte sich zu Friedrich rüber und schüttelte ihn sanft an der Schulter. Der alte Mann öffnete die Augen und starrte schläfrig vor sich hin.
»Und wer will als Nächstes was sagen?«, fragte Neef. »Herr Sprenger? Sie sind ja neu auf Station. Wie war denn Ihr erstes Wochenende hier?«
Falko Sprenger zuckte die Schultern. Er war mittelgroß und schlank und noch nicht auf bequeme Kleidung umgestiegen. Er trug polierte schwarze Schuhe und unter dem zitronengelben Seidenjackett einen
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