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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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einigen Jahren?«
    »Ja«, brummte Xaver, »auf der Akutstation. Für ein paar Monate. Sie müssen mein Schweigen durch ein Prisma schicken, dann wird Ihnen alles klar.«
    »Und am Ende des Aufenthaltes, in den letzten elf Wochen, haben Sie eine beeindruckende interdisziplinäre Dissertation verfasst«, fuhr Vosskamp fort. »Zur Steinmetapher in der Philosophie. Summa cum laude. Nach dem üblichen Verfahren als Habilitationsleistung anerkannt, Freud-Preis, Foucault-Preis, Curtius-Preis, Märker-Preis und ein Ruf nach Berlin, an die HU. Ich gratuliere zu dieser ungewöhnlichen Leistung.«
    »Das dürfen Sie auch«, sagte Xaver. »Dafür bin ich jetzt in der Klapse.«
    »Sie müssen doch hier nicht bleiben. Vielleicht wäre das auch hier eine Möglichkeit für Sie? Wieder zu schreiben?«
    »Vielleicht.«
    »Gestatten Sie mir eine Frage? Ich habe schon viele Bipolare untersucht, aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der aus seinem Gedankenrasen eine kongruente und umfassende philosophische Abhandlung machen konnte. Wie haben Sie das damals geschafft?«
    Xaver trommelte mit den Fingern auf seinen Knien und probierte mehrere Rhythmen aus. »Philosophie entsteht immer dann, wenn das Gehirn aus dem Takt gerät«, sagte er. »Das ist eine Gnade, keine Krankheit. Haben Sie nicht bemerkt, dass es auf der 5 von Philosophen nur so wimmelt? Sie sollten die Station umbenennen. Nicht mehr ›psychiatrische Station‹, sondern ›philosophische Station‹.«
    Vosskamp schmunzelte. »Ja, das könnte mir gefallen.«
    »Die Psychiatrien sind keine Heilanstalten für die Verrückten, sondern für die Normalen. Sie zum Beispiel halten sich für den Chef. Tatsächlich sind Sie der Hauptinsasse. Und Sie müssen so lange hier bleiben, bis Sie es schaffen, irre zu werden.«
    Vosskamp lachte, hob seine Hand und wedelte mit ihr in der Luft herum. »Ich bezweifle aber, dass alle psychiatrischen Patienten zu philosophischen Ideen neigen.«
    »Stimmt«, antwortete Xaver, »sie neigen nicht zu philosophischen Ideen. Sie sind philosophische Ideen.«
    Vosskamp erwiderte nichts, schaukelte leicht in seinem Sessel und blickte Xaver dabei an. »Ich verrate Ihnen mal was«, sagte er schließlich. »Psychiatrie ist langweilig. Die Leute denken ja immer, im Tollhaus, da ist was los, da ist es zwar irgendwie gruselig, aber auch spannend. Dem ist aber nicht so. Die Menschen werden nicht interessanter, wenn sie verrückt werden. Als junger Assistenzarzt hält man noch jeden Patienten für einen Weisen, jede Krankheit für einen Weg. Alles Unsinn. Es gibt weitaus mehr Wahnsinn als Genies. Das ist die Normalität. Auf einen wie Sie trifft man alle zehn Jahre. Wenn überhaupt.«
    Draußen begann es zu hageln, die Körner rieben mit einem feinen Zischen an der Scheibe entlang.
    »Schreiben Sie wieder, lieber Kollege Walpersdorf! Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit. Fangen Sie gleich heute an. Und bleiben Sie bei einem einzigen Thema. Dieses Sprunghafte ist ja quälend für Sie, das müssen Sie unter Kontrolle kriegen.«
    »Gut, ich schreibe eine Expertise über den Teufelsberg. Ich fahre gleich zur Uni und sammle noch ein paar Daten ein. Die Expertise können Sie dem Katastrophenschutz vorlegen.«
    »Nein, schreiben Sie keine Expertise. Gehen Sie erst wieder zur Uni, wenn Sie gesund sind. Ehrlich gesagt, machen Sie einen ziemlich desolaten Eindruck, so sollten Ihre Kollegen Sie nicht sehen. Ich muss Sie wirklich schützen. Bleiben Sie für den Rest der Woche auf Station, der Ausgang gestern war nicht gut für Sie, der hat Sie wieder überflutet. Schreiben Sie hier, im reizarmen Raum. Am besten was Philosophisches, das hat Ihnen letztes Mal auch geholfen. Vielleicht wieder über Metaphern, wie wäre das? Diesmal nicht über Steinmetaphern, sondern Seelenmetaphern?«
    »Meinetwegen«, brummte Xaver.
    »Sie durchschauen natürlich, dass ich mit diesem Kunstgriff Ihren Kontakt zu der eigenen Seele stärken möchte?«
    »Ja, ja.«
    »Fünfzehn Seiten bis Samstag? Oder ist das zu viel für den Anfang?«
    »Nein, überhaupt kein Problem. Und die Expertise schreibe ich auch.«
    »Sie müssen fokussieren«, sagte Vosskamp, »immer nur eine Sache machen, das ist jetzt ganz wichtig. Wollen wir es nicht doch mit Olanzapin versuchen?«
    »Mit Olanzapin kann ich nicht denken. Ich habe es schon damals heimlich abgesetzt.«
    »Gut, dann lassen wir das Medikament erst mal weg. Aber Sie müssen heute schon schreiben. Kein Katastrophenszenario, sondern einen ruhigen,

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