Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
Vom Netzwerk:
höhere Bedeutung.«
    Vosskamp schürzte die Lippen, stand auf und stützte sich dabei mit seinen Händen vom Tisch ab. Die Fingernägel waren weiß gebändert wie der Mischgneis, der Stein, den Xaver als Briefbeschwerer in seinem Büro auf dem Schreibtisch liegen hatte.
    »Überwertige Ideen«, murmelte Vosskamp an Neef gewandt, der sogleich sein Klemmbrett unter dem Arm hervorholte und Notizen machte.
    Vosskamp streckte seinem Patienten die Hand hin. »Ich freue mich auf unsere Therapiesitzung heute Vormittag.«
    Als Vosskamp wieder draußen war, begann Xavers Herz zu rasen. »Vollidiot!«, zischte er.
    Er riss die Tür auf, um Vosskamp etwas hinterherzubrüllen, aber der war mit seinem Pulk schon im nächsten Zimmer verschwunden – bei Beate, wie die grüne Signallampe über ihrer Tür verriet.
    Eine Weile starrte Xaver auf das große Gemälde an der lichtgrauen Betonwand. Das Bild war von Horst Vierer, sah aber aus wie von Miró und zeigte ein Krankenzimmer, das gerade explodierte, denn die Patienten, dargestellt durch bunte Strichmännchen, wurden zusammen mit irgendwelchen Blumensträußen in den Himmel gewirbelt.
    Vor der Therapiestunde ließ er sich eine weitere Tablette Lorazepam geben. Erst dann betrat er den Thera-Tower. Vom Treppenhaus aus konnte er das Loch sehen, das er gestern ausgehoben hatte, am Baukran. Die Erdschicht war etwa zwanzig Zentimeter dick, es folgten Steine und Lehm. Xaver hatte das gespürt und gerochen. Im Winter rochen Steine wie Münzgeld, während sie in der Wärme einen sandigen Geruch entfalteten. Noch anders rochen sie in der Tiefe. Die Hitze im Inneren der Erde verlieh den Steinen einen Geruch nach Meteoriten.
    Auch der Teufelsberg hatte einen eigenen Geruch. Seine Steine dünsteten etwas Kompaktes, Öliges, Porenloses aus, auch etwas Süßes. Als Xaver sich hinlegte und den Kopf in das Erdloch steckte, bemerkte er den metallischen Geruch von Tauwasser.
    Bevor er an Vosskamps Bürotür klopfte, ermahnte er sich selbst, bei diesem einen Thema zu bleiben, bei den Steinen und dem Lehm.
    Vosskamp stand am geöffneten Fenster, er hatte die Hände auf den Rücken gelegt, das linke Handgelenk mit der rechten Hand umschlossen. Seine Handfläche war fleischig, nur an den Innenseiten waren die Finger kantig, wie bei alten Leuten. Er sah hinaus. Über der Landschaft lag eine homogene Wolkenschicht.
    »Da sind Sie ja wieder, Herr Kollege«, sagte Vosskamp.
    »Grüß Gott«, brummte Xaver.
    »Schön, dass wir heute Zeit füreinander haben. Ich bin neugierig. Alle nennen Sie den Philosophen.«
    »Ich bin hauptsächlich Petrologe.«
    »Ach ja, stimmt. Ich bin allerdings nicht nur neugierig, ich mache mir große Sorgen um Sie.«
    Er sah weiter aus dem runden Fenster und spielte leicht mit den Fingern der linken Hand. Xaver trat neben ihn. Der Wald floss in leichten Wellen auf die Stadt zu. In der Ferne verschmolzen die Baumstämme miteinander zu graubraunen Flächen.
    »Es taut«, sagte Xaver. »Gestern habe ich eine Quelle gefunden. Am Berghang, auf halber Höhe, Nordost.«
    »Sie sind von ganzem Herzen Forscher, das sehe ich. Das bewundere ich. Aber wollen Sie nicht auch nach Ihren inneren Quellen Ausschau halten? Ich würde Sie gern auf dieser Expedition begleiten. Soll ich Ihnen was verraten? Wir Ärzte sind keine Götter in Weiß. Wir sind nur Trittbrettfahrer auf der Fahrt der Genesung.«
    Vosskamp schloss das Fenster. Draußen bewegten sich die Baumwipfel, aber Xaver hörte den Wind nicht mehr. Trotz der Weite, die ihn umgab, fühlte er sich eingesperrt.
    »Der Teufelsberg ist nicht echt«, sagte er.
    »Das ist wahr, er ist nur ein Trümmerberg«, erwiderte Vosskamp. »Was die Berliner mit dem alles machen wollten! Eine Skischanze sollte hier hin, ein Bärenzwinger, ein Kongresshotel, ein Wohnkomplex, ein Freies Theater, ein Vergnügungspark. Aus dem Teufelssee unten sollte ein Plastikungeheuer auftauchen, eine Art Nessie. Zeitweise wollte sogar eine Yogigemeinde hier ansässig werden und den Weltfrieden stärken, mithilfe des yogischen Fliegens.«
    »Warum muss man mit einem Berg was machen?«, fragte Xaver.
    »Sie haben wohl recht, das muss man nicht. Aber was heißt schon Berg? Sechsundzwanzig Millionen Kubikmeter Kriegsschutt, da einfach Gras drüber wachsen zu lassen, im wahrsten Wortsinn, das wollte hier keiner. Das tat den Berlinern zu weh. Sie kennen die Berliner nicht, Herr Kollege. Die müssen immer was machen. Und immer, wenn sie was machen, müssen sie gleich noch eine

Weitere Kostenlose Bücher