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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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und die Berichte aus den Visiten. Die einzige biografische Angabe war der Beruf der Eltern, sie handelten mit Steckelementen für Fertighäuser.
    Friedrich sah sich Falkos Utensilien auf der Ablage unter dem Spiegel an. Dort stand ein Shampoo gegen Haarausfall von Nivea, Schaumfestiger derselben Marke und ein französisches Rasierwasser in einer zitronengelben Flasche, Balmain. Die Gesichtscreme war von Bebe, eine Kindercreme. Der Nassrasierer mit den Fertigklingen steckte in einer Schale voller Kalk- und Seifenflecken. Die Borsten der Zahnbürste standen verfilzt zu den Seiten ab.
    Schließlich betrachtete Friedrich das eigene Gesicht, im Spiegel hinter den Dosen und Flaschen, und wie er seine Finger gegen die Oberlippe drückte und sie hin- und herschob. Er war blass, seine weißen Haare waren verklebt, und der Bart hatte schmutzige Spitzen.
    »Ursula«, sagte er zu seinem Spiegelbild, »was stimmt nicht mit dir?«
    Er hoffte, in seiner Akte etwas über Ursula zu erfahren, aber als er die Akte aufschlug, öffnete sich die Tür, und Falko trat ein.
    »Kapitän«, sagte er, »wie oft soll ich dir noch erklären, dass du die Tür abschließen sollst, wenn du im Bad bist? Ich will dich nicht beim Scheißen erwischen! Was hast du da?« Er nahm Friedrich die Akten aus der Hand, blätterte kurz darin und pfiff durch die Zähne. »Hat Vosskamp die liegen gelassen? Ich wusste, der Kerl ist ein Trottel. Das ist nichts für dich, Kapitän.«
    »Sind wir noch auf dem Schiff?«, fragte Friedrich.
    »Ja, und bald gehen wir an Land.« Falko winkte mit den Akten und verließ das Bad.
    Dann rufe ich Ursula eben an, dachte Friedrich. Weil er kein Telefon hatte, ging er ins Zimmer gegenüber. Das Essen stand schon auf dem Tisch, auf einem Tablett mit Isolierdeckel, aber niemand war da. Das Telefon fand Friedrich auf einem Tischchen neben dem Sessel. Er setzte sich und tippte die Nummer ein.
    »Bialla, Friedrich und Ursula«, hörte er die eigene Stimme. »Bitte sprechen Sie nach dem Signalton.«
    »Ursula?«, fragte er, »bist du da?« Er lauschte der Stille auf dem AB.
    Er nahm sich Zeit, weil er wusste, dass Ursula langsamer war als früher. Vielleicht legte sie gerade den ganzen Weg von der Küche ins Wohnzimmer zurück. Er dachte an ihr Gesicht in New York, wie es zwischen ihren Haaren schwebte. Sie hatte die Haare immer lang getragen, in schwarzen, dann grauen, dann weißen Locken, und immer mit einer Spange, und sie war immer ein Mädchen geblieben, das alles bei sich hatte. Die meisten Menschen verteilten sich, das Weiche war zu Hause und das Harte im Büro, das Liebe bei den Kindern und das Gemeine bei den Fremden. Aber Ursula trug alles in ihrem kleinen Gesicht.
    Nur in New York wollte ihr Gesicht auf einmal fort. Nicht direkt ihr Gesicht, eher der Glanz des Gesichtes, der Ausdruck. Er lag nicht mehr auf der Mimik, sondern einige Millimeter davor, und er entfernte sich schnell. Und später, als Ursula Friedrich so merkwürdig ansah, hatte er den Eindruck, dass der Glanz des Gesichtes schon meterweit fort war, weit hinter seinem Rücken. Gewissermaßen stand Friedrich jetzt zwischen dem Glanz und dem Gesicht, im Raum zwischen Mimik und Ausdruck.
    Er war Ursula nie so nahe gewesen, nicht einmal während der Liebe, wenn ihre Leiber sich verbanden, fast täglich, als sie noch jung waren, und als sie alt waren, oft genug. Und obwohl Friedrich alles an Ursula kannte, jede äußere und jede innere Falte, jede Tonart, jede Regung, sah er Ursula zum ersten Mal nackt. Er sah vor sich ihr Gesicht und spürte hinter sich dessen Glanz, er war in ihr und zwischen ihren Schichten, und währenddessen entglitt sie ihm.
    Er hielt noch immer den Hörer in der Hand, als Xaver das Zimmer betrat.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Xaver. »Hast du dich wieder verlaufen?«
    »Ich möchte mit meiner Frau sprechen«, sagte Friedrich. »Wo ist Ursula denn nur?«
    »Weißt du was«, sagte Xaver, »bleib einfach hier sitzen und telefoniere, solange du willst.«
    »Sind wir noch auf dem Schiff?«, fragte Friedrich.
    Xaver nahm sein Tablett vom Tisch und trug es zur Tür. »Wer weiß das schon«, brummte er und ging.
    In Minnesota war es erst fünf Uhr morgens, trotzdem wählte Friedrich Käthchens Nummer. Seine Tochter nahm sofort ab.
    »Hello?«, fragte sie mit ihrem amerikanischen Akzent. Obwohl sie schon über fünfzig war und seit zwanzig Jahren in Amerika lebte, war Friedrich immer noch stolz, dass seine Tochter so gut Englisch sprach.
    »Ich

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