Teufelsberg: Roman (German Edition)
das Aufnahmegespräch, auch er hatte irgendeine Bedeutung, er wedelte immer mit der Hand, aber Sylvia wusste nicht, warum.
»Gott ist ein Punk auf Haldol«, sagte sie. »Aber ich bin gesund.«
»Aber Sie haben sich doch herbringen lassen«, entgegnete Vosskamp. »Es geht Ihnen doch schlecht. Das sagt auch Ihr Mann.«
»Nein.« Sie verschränkte die Arme. »Überall ist die Heuschreckenaura, der Auftakt der Apokalypse. Ich will weg.«
Vosskamp warf Martin einen Blick zu, aber der zog hilflos die Schultern hoch, für einen Moment glaubte Sylvia, er würde gleich weinen. Vosskamp telefonierte mit dem Amtsgericht.
»Ich muss ein PsychKG beantragen«, erklärte er in ihrem Beisein. »Die Frau, um die es geht, ist selbstgefährdet. Ihr Verhalten ist bizarr, misstrauisch und unkooperativ. Sie zeigt keine Krankheitseinsicht. Vermutlich handelt es sich um paranoide Schizophrenie.«
Warum redet der so über mich, wenn ich dabei bin, dachte Sylvia, macht man das so mit Verrückten?
Sie bekam ein Zimmer auf der 5A mit Blick auf eine weiße Siedlung in der Ferne. Auf der Siedlung lag das gleiche Rembrandt-Leuchten wie auf den Ohren ihres Klassenkameraden, etwas Engelhaftes. Martin blieb da, sie saß auf dem Bett, er im Fernsehsessel, sie schwiegen. Nachmittags kam ein Arzt des sozialpsychiatrischen Dienstes, ein Mann mit Cordhose und Schweinsledertasche, der sie die ganze Zeit nach den Heuschrecken fragte. Am Ende einigten sich alle darauf, dass Sylvia freiwillig dableiben sollte, ohne Unterbringungsbeschluss. Martin half ihr beim Auspacken der Reisetasche.
»Schöner Ausblick«, sagte er, ohne aus dem Fenster zu schauen.
Danach begleitete Sylvia ihn zur Stationstür. Durch das Glas sah sie ihm nach. Er machte schnelle, steife Schritte. Er drehte sich noch einmal um und sah sie an. Sein Gesicht war leer und voller Geröll.
Später lernte sie ihre Zimmergenossin Beate kennen. Beate stank nach Nikotin, Sylvia öffnete das Fenster. Um nicht mit Beate reden zu müssen, rief sie Martin auf dem Handy an.
Er nahm ab. »Geht es dir besser?«
Im Hintergrund hörte sie papiernes Rauschen. Martin war in die Plakatwelt gestiegen, er war wieder eins der Plakatgesichter in ihrem Büro.
»Wo bist du?«, fragte sie.
»Alles in Ordnung, Sylvia?«
»Ja, ja, aber wo bist du?«
»Auf der Heerstraße. Ist das wichtig?«
Warum lügt er, dachte sie, warum stehlen die Plakatgesichter meinen Mann. Sie haben sich alle gegen mich verschworen, und ich kann gar nichts mehr machen. Sie schrie: »Warum bestimmst immer du, was wichtig ist?«
»Ich wollte dich doch nur beruhigen.«
Sie lauschte dem Rascheln der Plakate in der Leitung.
»Sag doch was«, bat er.
»Das hat alles überhaupt keinen Zweck. Ich lege jetzt auf.«
»Nein, lege nicht auf. Nicht.«
Sie schmetterte den Hörer auf die Gabel.
Am Abend, in der Montagsrunde, lernte sie die anderen Patienten kennen, sechs Mitpatienten, drei Männer und drei Frauen. Sie mochte alle außer Beate. Zum Glück bekam sie eine neue Zimmernachbarin, Annika. Annika schrie in der Nacht und schlug um sich.
Danach wusste Sylvia, was zu tun war. Sie musste Gott finden, und wenn der Punk recht hatte auf dem fahlen Ross zwischen den Säulen der Eingangshalle, war Gott auf der Geschlossenen gefangen, und sie musste ihm gute Besserung wünschen, damit er losgeschnallt wurde und helfen konnte.
Am Dienstag blieb Sylvia nicht bei den anderen Patienten im Wintergarten, sondern machte sich auf, ihn zu suchen. Sie verließ die A und durchquerte den Aufenthaltsraum. Hinter der Milchglasfassade des Fitnessraumes lebten Engel, sie waren gefangen, sie mussten in seltsamen Gefäßen schwimmen, sie pressten ihre Gesichter ans Glas, sie sollten zu Fischen gemacht und durch die Kanalisation in die Spree gespült werden. Aber Sylvia ging an ihnen vorbei und steuerte den Wasserspender an, wo keine Engel gefangen waren, nur Wasser und Keime, und Keime waren ungefährlich, weil sie nicht guckten.
Der Wasserspender stand auf einem kleinen Regal mit Büchern, die keiner las. Es waren Spenden der Ginko-Company, einer Integrationsfirma für ehemalige psychiatrische Langzeitpatienten. Sie betrieb einen Gebrauchtwarenladen, ein Integrationscafé und eine Gärtnerei. Die Ehemaligen sah man manchmal im Garten die Wege harken oder Schnee schaufeln, sie unterschieden sich von den anderen Gärtnern durch ihre Langsamkeit und durch ihre Gesichter, in denen die Neuroleptika eine Leere hinterlassen hatten. In ihrer Zeitung, den
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