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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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neben dem Speisesaal, wurde meistens sie verlangt. Die Lehrerin mit dem flehenden Lächeln lief im OP-Kittel herum. Aber meistens waren es Männer, die von der mintblauen Einsamkeit umhüllt wurden.
    Anders als die Zimmer der A hatten die Zimmer der B keine eigenen Bäder, die Patienten mussten sich die winzigen Nasszellen teilen. Das große Wannenbad, das der Wäschekammer folgte, wurde nur auf Anfrage geöffnet.
    Sylvia hörte, wie die Pfleger darin einen Obdachlosen wuschen. Sein schmalziger, bitterer Körpergeruch durchdrang die Station. Das Wasser prasselte auf den Obdachlosen nieder, und er stammelte: »Die kommen noch, die haben … Nein, unter Anbetracht der Anlässe, der gegebenen Tatsachen, muss ich den marschierenden, den lautlosen Sammeltag begleichen. Die kommen noch, die werden mich …«
    »Ist ja gut, Herr Dobra, wir tun Ihnen nichts«, sagte einer der Pfleger. »Ist ja gut, Sie sind in Sicherheit.«
    Zwischendurch ging die Tür auf, und ein Pfleger trug am ausgestreckten Arm ein stinkendes Kleiderbündel heraus, rannte über den Flur zur Wäschekammer und stopfte es in die Waschmaschine. Durch den Türspalt des Wannenbades sah Sylvia den nackten Mann, er saß aufrecht in der Badewanne aus Stahl, seine Brust war fleckig und dürr, die Augen aufgerissen, und drei Pfleger mit Gummihandschuhen schütteten Flüssigseife über ihm aus und schrubbten an ihm herum, und während ihm schwarzes Wasser aus dem Bart rann, stammelte er weiter: »Nieder mit den Quartalsmatratzen, mit den hegemonistischen Sonntagen. Ich werde eines Tages, ich habe schon, jemals und jenseits, und drüben fängt alles von vorne an. Wir sind nur gestaffelt, wir sind eine Fernsehstaffel, wir geben den Stab an die Wirklichkeit ab, und er wird uns elektrisch durchbohren, er wird … Natürlich wird er das …«
    Als er aus dem Bad geführt wurde, trug er ein Stationsnachthemd mit einem Muster aus kleinen oliv-grauen Karos und war still.
    Am Ende des Flures, der mit einem Fenster abschloss, stand die Tischtennisplatte. Das Netz wurde nur unter Aufsicht angebracht, während der Sportgruppe. Ein junger Sozialarbeiter mit Sweatshirt, Jeans und lieben Augen kam auf die Station und rannte mit allen um den Tisch, und jeder musste den Ball abschlagen, und wer ihn nicht traf, fiel aus und wartete am Fenster, bis am Ende nur noch zwei übrig waren, und wenn einer von ihnen verloren hatte, fing alles wieder von vorn an. Zuerst flogen die Schizophrenen raus, dann folgten die Depressiven. Am schnellsten waren die Suchtkranken und die Jugendlichen mit den Drogenpsychosen.
    »Wollen Sie mitmachen?«, wandte sich der Sozialarbeiter an Sylvia.
    Sie zuckte mit den Schultern. Sie sah einem dicken Mädchen zu. Es rannte während des Tischtennisspiels quietschend über den Flur, stahl lachend Zigaretten, Kekse und Klamotten aus den Zimmern, nahm Anlauf und warf sich jubelnd auf die Fixierbetten. Als die Ärzte schimpften, weinte das Mädchen und schlug nach ihnen, und die Ärzte sagten: »Wir müssen Sie jetzt fixieren!« Sie folgte ihnen mit gesenktem Kopf. Stunden danach ging sie langsam über den Flur, ihre Handgelenke waren rot.
    Am Mittwoch in der Chefarztvisite fragte Sylvia Vosskamp, warum so viele Menschen an die Betten gefesselt wurden. »Es ist furchtbar, dass Sie die Menschen so demütigen.«
    »Wir tun das sehr ungern«, antwortete Vosskamp. »Aber manchmal haben wir keine Wahl, und oft wird es auch als hilfreich erlebt. Zum Beispiel bei jungen Menschen, die niemals Strukturen hatten, denen niemals verlässlich Grenzen gesetzt wurden. Die testen sie bei uns aus. Wir können ihnen helfen, indem wir klar reagieren.«
    »Indem Sie sie fesseln?«
    »Wenn sie sich oder andere gefährden, ja. Manchmal muss man die Freiheit beschränken, sogar die Würde, um ein Leben zu schützen.«
    Vosskamp zog seine Stirn in Falten, und Sylvia wollte ihn nicht verärgern, sie mochte ihn inzwischen. Aber sie wollte auch den jungen Punk nicht im Stich lassen und auch nicht das dicke, jubelnde Mädchen.
    »Sie dürfen den Leuten kein Haldol geben«, sagte sie, »das hat doch so furchtbare Nebenwirkungen.«
    »Ja, diese parkinsonähnlichen Erscheinungen, die sind unangenehm. Aber da gibt es Gegenmittel. Haldol ist ein gutes Medikament, und es wirkt im Akutfall schneller als andere Medikamente. Diazepam zum Beispiel braucht mindestens zwanzig Minuten, bis es anflutet.«
    »Aber warum können Sie diesen Unglücklichen nicht einfach die Hand halten?«
    »Wenn einer so

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