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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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warten, der Sylvia auf die Station bringen sollte. Sylvia setzte sich in einen der bunten Sessel, vor einen Tisch mit Schalen voll weißer Steine und Bambusrohre. Martin ging Kaffee holen.
    Auf einmal stand ein junger Mann da. Er war fast noch ein Kind. Seine Augen hatten die Farbe von ausgeblichenen Haselnüssen, die Einstichstellen seiner Piercings waren rot. Er hatte einen schwarzen, frisch gefärbten Irokesen. An den Seiten seines Schädels war die Haut noch grau von der Farbe. »Bin abgehauen, aus der Geschlossenen«, sagte er. »Die haben mich auf Haldol ans Fixierbett gefesselt. Ohne Biperiden, das gegen die Krämpfe. Das Haldol hat mir echt die Zunge in den Schlund gedrückt, und meine Arme und alles hat voll gekrampft, sogar die Augen. Über Stunden. Das war Folter, ohne Scheiß. Mit dreizehn war alles noch geil. Stand ich da so auf dem Bahnhof rum, kommt so ein Typ Mitte dreißig und sagt, pass doch mal auf meine Koffer auf. Ich bei den Koffern, der Typ aufs Klo, zehn Minuten mindestens, kommt der zurück, völlig happy und so und drückt mir ein Piece in die Hand. Und ich, kein Plan von nichts, das Piece nur in Stücke gebrochen und rein in die Zigarette gedreht. Aber das ging schon ab, irre. Gesoffen aber schon früher, mit zehn. Paar Brüder und ich mit unserem Alten in so einem Ferienhaus, und alles durcheinander, Bacardi, Bier, Cinzano, Wein und so. Und plötzlich wird mir so schlecht, hab voll losgekotzt. Mein Alter hat sich schlappgelacht, du Weichei, kotzt gleich ab. Der trinkt also noch so paar Bacardi und stürzt dann selber zum Fenster. Alle voll im Koma. War geil, drei Tage ohne Dresche, ich sag es dir, die schönsten Tage meines Lebens. Aber was da abging im Irrenhaus, nee … Haldol. Bist du mal auf Haldol gewesen? Ist zur Beruhigung, gegen Borderline, aber meine Hände gingen so: Brbrbrbrbrbrbr! Ich dann also zur Nachtwache: Biperiden, Biperiden! Und die: Nee, dürfen wir nicht, Suchtgefahr. Und ich: Biperiden! Biperiden! Und die ganze Zeit meine Hände: Brbrbrbrbrbrbr! Okay, kommt also der Bereitschaftsarzt. Er: Sie müssen skillen, Sie haben einen Anspannungszustand, nehmen Sie mal einen Igelball in die Hand, und ich: lall, lall, und er: oder einen Eiswürfel, und ich: lall, lall. Arschwichser. Ich konnte nicht mal mehr laufen vor Krämpfen, voll auf dem Boden rumgekrochen, zurück in mein Zimmer. Komme aber nicht in mein Bett hoch. Liege also die ganze Nacht auf dem Boden, und die ganze Zeit meine Hände: Brbrbrbrbrbrbr! Und mein Kopf hin und her. Morgens dann in der Visite: Herr Keller, mit Ihrem Protestverhalten schaden Sie sich doch nur selbst. Ich so: Das war kein Protest, das waren Nebenwirkungen. Und die so: Sie können nicht immer alles auf andere schieben. Und ich so: Scheiß Wichser. Bin voll ausgetickt, habe dem Chef eine geklatscht. Nicht mal reingedroschen, nur in die Hände geklatscht vor seiner blöden Fresse. Da ruft der das Fixierteam, acht Mann, und spritzt mir wieder Haldol, und alles geht von vorn los. Die Geschlossene ist ein Knast. Schlimmer noch. Knast ist okay, war mal da, im Jugendknast. Da war meine Mum gestorben, Suff oder Sturz, was weiß ich. Ich so mit paar Kumpels nachts auf den Friedhof, haben wir eine Gruft ausgeräumt, paar Schädel geklaut von so paar alten Stadtvätern oder so. Der eine von uns war so breit, lässt der den Schädel auf der Straße liegen! Wir über die Mauer und weg. Haben die uns trotzdem gekriegt. Aber schlecht war es nicht im Knast. Jeden Tag gut breit gewesen, Stoff kriegt man immer, einfach in den Tennisball und ab damit über die Mauer in den Hof. Aber die Scheiße im Irrenhaus, voll der Horrortrip. Die nennen das Klinik, aber hallo? Ich nenne das Endstation. Und ich sage dir eins. Wenn es einen Gott gibt, ist er Patient auf der Geschlossenen, und die haben ihn auf Haldol fixiert. Kein Wunder, dass er den Menschen nicht hilft. Aber ich muss los. Du kannst Gott einen schönen Gruß bestellen, wenn du ihn da mal treffen solltest. Und ihm gute Besserung wünschen …«
    Crazy Orcus, Crazy Orcus, dachte Sylvia die ganze Zeit, als sie den jungen Mann reden hörte. Bevor sie irgendwas sagen konnte, war er zwischen den hohen, durchsichtigen Säulen der Halle verschwunden. Sylvia war erleichtert. Endlich fügte sich alles. Der Punk war der vierte Reiter der Apokalypse. Er hatte ihr etwas mitgeteilt, auf seinem unsichtbaren fahlen Ross. Sie sah, wie der Brunnen in der Hallenmitte rauchte.
    Vosskamp, der Chefarzt der Psychiatrie, führte

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