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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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zwischen zwei Palmen. Die Blätter waren scharf umrandet. Sie drehte sich zu den beiden Männern um. Sie wollte prüfen, ob die Heuschrecken wieder da waren; sie kündigten sich oft durch scharfe Ränder und stechende Augen an. Aber die Männer sahen normal aus, und Sylvia lehnte sich wieder zurück. Sie schaute nach draußen, auf den Wald. Es taute schon seit einigen Tagen, der letzte Schnee fiel müde von den Baumkronen ab.
    »Bist du fertig?«, hörte sie Xaver fragen.
    »Klar«, sagte Falko. »Es ist ein Aufsatz von einem prominenten deutschen Philosophen. Wie heißt der noch gleich? Der hat einen Backenbart und ist auch dauernd im Fernsehen.«
    »Der Kalderhut?«, fragte Xaver.
    »Genau, der. Also, sein Aufsatz ist letzte Woche in ›Nogurana‹ erschienen, das ist eine Zeitschrift für Philosophie und Zeitgeist, die habe ich in der Patientenbibliothek gefunden. Der Titel war öde, ›Die Seele‹, darum habe ich mir einen neuen ausgedacht.«
    »Zeig mal her«, sagte Xaver.
    Sylvia hörte es rascheln.
    »Ich habe den Aufsatz in der Medienlounge gescannt, auf Word kopiert und ausgedruckt«, erklärte Falko. »Und ein paar Flüchtigkeitsfehler eingebaut, damit es nicht auffällt. Weil du doch manisch bist.«
    »Der Titel ist gut«, sagte Xaver.
    »Das Innerste. Zur konzentrischen Metapher der Selbstfindung«, zitierte Falko sich selbst mit gespielt blasierter Betonung.
    »Falko, du bist ein Genie.«
    »Bitte, sag das noch einmal, Xaver. Man kriegt hier so selten Komplimente.«
    »Falko, du bist ein Genie.«
    Beide lachten.
    »Verzeiht mir, wenn ich neugierig bin«, mischte sich Sylvia ins Gespräch. »Aber was macht ihr denn da, ihr beide?«
    »Schreibtherapie«, wieherten beide wie aus einem Mund.
    In dem Augenblick betrat Beate den Wintergarten.
    »Wie geht es dir?«, fragte Sylvia mit dünner Stimme, aber Beate sah sie nicht an und setzte sich ans andere Ende des Wintergartens. Sylvia sah ihr hinterher und prüfte, ob sie die Heuschrecken mitbrachte. Aber Beate sah aus wie immer, mit ihrer blondierten Föhnfrisur, der weißen Brille und der braungeschminkten Haut, die sich um irgendein Unglück faltete.
    Die Wochenendvisite fand im Zimmer statt. Vosskamp kam allein.
    »Guten Morgen«, rief er.
    Er sah müde aus und nicht so gut gelaunt wie sonst. Unter seinem offenen Kittel trug er eine dunkelgraue Flanellhose und einen blauen Strickpullover.
    »Wissen Sie, was ich glaube?«, begann Sylvia, ohne darauf zu warten, dass Vosskamp das Gespräch eröffnete. »Ich glaube, meine Ehe krankt daran, dass mein Mann seinen Standpunkt kennt und mir meiner verloren gegangen ist.«
    »Ja, das könnte sein«, sagte Vosskamp. »Sie müssen lernen, sich besser durchzusetzen.«
    »Nein, so meine ich das nicht. Ich weiß generell nicht mehr, wo der Standpunkt ist. Ich bin auf eine Metaebene gerutscht, die kein Geländer hat. Und deswegen verstehen wir uns nicht mehr, mein Mann und ich. Ich rutsche immer ab. Überhaupt, was ist das eigentlich, ein Standpunkt? Und wozu braucht man den?«
    Vosskamp schwieg eine Weile. Er hielt einen Stapel Papiere in der Hand. Jetzt legte er sie vor sich auf den Tisch und strich sie glatt.
    »Sie kommen mir heute schon viel klarer vor als bei Ihrer Aufnahme am Montag. Im Grunde sind Sie doch eine selbstbewusste, starke Frau, die ihren Standpunkt energisch vertreten kann. Und ich bin mir ganz sicher, da kommen Sie bald wieder hin, Frau Berger.«
    Er nickte, zog die Brauen nach unten, stülpte die Lippen vor und machte Anstalten aufzustehen.
    »Aber ich kann nicht wieder in die Welt der Standpunkte zurück«, beeilte sich Sylvia zu sagen. »Ich glaube, dass die Heuschrecken mit dieser Metaebene zu tun haben. Irgendwie sind sie da, mir zu helfen. Sie sind für irgendwas der Beweis. Vielleicht dafür, dass ich wahnsinnig bin oder dass die Welt es ist. Aber das, was mich wirklich wahnsinnig macht, ist die Unfähigkeit, zu unterscheiden, wer denn jetzt wahnsinnig ist, ich oder die Welt. Wenn ich wüsste, dass ich wahnsinnig bin, wäre es einfacher für mich. Aber ich weiß nicht mehr, was stimmt. Was ich erlebe, ist ein Wahnsinn zweiten Grades, eine Bodenlosigkeit, der Wahnsinn, nicht zu wissen, ob man wahnsinnig ist.« Sie spürte ihr glühendes Gesicht, als sie geendet hatte.
    »Sie brauchen wieder mehr Sicherheit«, sagte Vosskamp, »mehr Verankerung in der Realität. Was haben Sie denn für heute geplant?«
    »Ich wollte ein bisschen raus, wenn ich darf.«
    »Haben Sie sich denn inzwischen so weit im

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