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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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liebt? Nein, er soll bloß für alles herhalten, was sie im Leben verpasst hat. Und Beate … egal.«
    Falko nahm einen Schluck Kaffee, der kalt geworden war. Er wollte nachgießen, aber das Kännchen war leer. Über dem goldenen Emblem der Cardea, das aufs Porzellan gedruckt war, erstreckten sich wurzelartig getrocknete Kaffeerinnsale.
    »Eklige Plörre. Wir kriegen das Gleiche wie die Irren auf der B, nur in goldenen Bechern. Im Knast war das Essen auch nicht schlechter. Das war eine extremst bekloppte Woche. Aber auch eine lukrative.«
    Friedrich begann zu schnarchen, seine schmale Brust hob und senkte sich unter dem Leinenhemd. Es war kühl im Zimmer, die weißen Haare auf seinen Unterarmen hatten sich aufgestellt.
    »Wenn du nicht inzwischen Gemüse wärst«, fuhr Falko fort, »würdest du mir Vorwürfe machen. Warum tust du so was, würdest du fragen. Aber weißt du was? Ich tue den Frauen was Gutes. Sie dürfen für zwei, drei Tage glücklich sein, sie dürfen hoffen. Sie müssen nur dafür zahlen. Alles hat seinen Preis. Und das Glück ist teuer. Aber am teuersten ist die Hoffnung. Ich bin ein Hoffnungsverkäufer. Und ein guter dazu. Du erkältest dich noch.«
    Falko stand auf und holte Friedrichs Decke von dessen Bett. Das Laken hatte sich seitlich von der Matratze gelöst, und Falko sah, dass die Matratze in einer weißgelben Gummihülle steckte. Er legte Friedrich die Decke um die Schultern. Der alte Mann sank unter dem Gewicht der Decke noch etwas mehr in sich zusammen, wachte aber nicht auf. Falko setzte sich wieder an den Tisch. Er fuhr die Maserung auf der Tischplatte mit dem Zeigefinger ab. Das Furnier war dunkle Räuchereiche, wie bei allen Möbeln im Raum.
    »Weißt du, was die schönsten Stunden meines Lebens waren?«, fragte er den schnarchenden Deckenhügel. »Das waren die Stunden, in denen meine Schwester starb und ich im Krankenhaus saß und auf die Nachricht der Ärzte wartete; ich war neun. Da war eine Stuhlreihe im Flur, da saß ich. Meine Eltern waren irgendwo anders. Zum Glück. Meine Mutter ist ausgeflippt nach dem Unfall. Hat mich geschüttelt und angekreischt: ›Mein Mädchen blutet, mein Mädchen blutet!‹, als könnte ich was dafür und als wäre ich zuständig. Ab da war meine Mutter mir peinlich, beide Eltern, das hat auch nie wieder aufgehört. Jetzt saß ich da und starrte auf den Fußboden, blau marmoriertes PVC. Mir war heiß, und ich hatte Durst und hielt die Hände an die Schrauben von dem Stuhl, um mich zu kühlen. Ich stellte mir vor, die Schrauben wären Limonade. Und die ganze Zeit war die Hoffnung da. Und sie war so groß. Das Krankenhaus wurde zum Raumschiff. Ich flog mit meiner Schwester durchs All, durch die Hoffnung, ich war Luke, und sie war Leia. Sie war vierzehn und hatte schon Titten. Ich konnte sie nicht ausstehen, und auf einmal liebte ich sie.«
    Er stand auf und begann, durch das Zimmer zu wandern, bis nach hinten zu seinem Bett in der Ecke und wieder zurück zum Tisch und zur Tür, wo Friedrichs Bett stand. Nach seiner Aufnahme in die Cardea hatte Falko das Bett an der Tür bekommen, aber nach der ersten Nacht hatte er die Betten, ohne zu fragen, ausgetauscht.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Aber für dich war es doch wurscht, Kommissar. Nachher kannst du in deine gemütliche Ecke zurück, denn ich checke aus. Sofern du mich nicht verhaftest.«
    Er lachte. Friedrichs Kopf fiel tiefer auf die Brust, und Falko sah die weißen Haare in seinem Nacken und die Haut, die sich dünn und fleckig um die Wirbel legte. Falko dachte an die Visite am Dienstagmorgen, als er im Flur gesessen und gewartet hatte, dass er drankam. Auch Annika saß schon im Flur; die Oberärztin war gerade in ihrem Zimmer und sprach mit Sylvia. Außer Annika war niemand da. Über dem Glaskuppeldach drehte sich der Kran, sein Schatten schwang über den Boden und die Wände. Das Mädchen hatte dunkle Ringe unter den sorgsam geschminkten Augen.
    »Sie sah schlecht aus«, sagte Falko zu dem schlafenden Friedrich, »und das habe ich ihr gesagt. Die meisten Frauen sind dafür dankbar. Sie wollen keine Komplimente, sie wollen sich ausheulen und warten aufs Stichwort. Manche warten jahrelang und verlieren darüber ihre Schönheit. Sie verlieren sie nicht, weil sie alt werden. Sie verlieren sie, weil sie zu lange aufs Stichwort warten. Irgendwann will niemand mehr wissen, warum sie so schlecht aussehen. Wie Beate. Aber wenn man eine Frau früh genug fragt, warum sie so schlecht aussieht, dann blüht

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